Der Kommentar

Schnee-Chaos? Hört mal, wir haben gerade ein bißchen Winter!

Von Ralph Lorenz

Schnee-Chaos. Das Wort scheint in der diesjährigen Winter-Berichterstattung deutscher Gazetten unvermeidlich. Dabei reibe ich mir verwundert die Augen.

Ja, es hat geschneit. Und die Flocken sind auch schon wieder geschmolzen. Im überwiegenden Teil Deutschlands fließt der Verkehr zügig wie eh und je. In diesem Jahr habe ich im Weserbergland noch keine einzige Streumaschine im Einsatz gesehen. Und ja: In den traditionellen Skigebieten liegt meterhoch Schnee. Donnerwetter aber auch. In den Alpen. In Tirol. Im Schwarzwald. Erzgebirge. Und auf dem Brocken im Harz. In "Bild" wird für einige besonders verschneite, folglich auch von Lawinen bedrohte Regionen sogleich der Klimawandel verantwortlich gemacht. Und die heimische Lokalzeitung kennt sogar Hamelner, die "mittendrin" wovon auch immer sind. Hätte es keinen Schnee gegeben. Wer wäre dann Schuld gewesen? Natürlich: Der Klimawandel. Soviel zum Thema Winter – im Winter. Was mich stört ist das Chaos-Gerede. Es sind die Chaoten, die davon reden. Die Skandalisierer vom Dienst.

 

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Ich kann mich noch an meine Kindheit im Erzgebirge erinnern. In Arnsfeld. Die Schneewände am Straßenrand konnte ich als Knirps kaum überblicken. Die Eiszapfen waren dicker als meine Ärmchen. Dr. Schiwago-Winteridylle. 30 Grad Minus. Blaulicht, Gelblicht gab’s nicht. Stattdessen das Schnauben eines Pferdes, das einen Schlitten oder Karren zog und bedächtig seine dicken Hufe in die Schneedecke rammte.

Der Bauer lief vermummt mit Russenmütze nebenher, nickte ermunternd dem kleinen Städter zu.

Viele Höfe waren abgeschnitten. Dort kuschelten sich die Bewohner am flaschengrünen Kachelofen aneinander. Dicke Strickjacken, Katze am Fenster, die dem Schneetreiben nachschaute.

Opa schmauchte sein Pfeifchen, das Käffchen in der Hand – ein „Schälchen Hee’ßn“. Die Hofbewohner hatten sich für den Winter eingedeckt.

In meiner Schlafkammer im Hof meines enteigneten Onkels Manfred duftete es nach Winteräpfeln und knorrigem Holz. Das Plumpsklo über dem Misthaufen war eisig kalt. Aber es konnte kein Wasser einfrieren.

Kühlschrank war die Speisekammer. Leidlich gefüllt. Post gab es erst als die Wege einigermaßen geräumt waren. In fünf Stunden. Oder fünf Tagen. Und wenn dann eine Zeitung verspätet eintraf, dann war auf der Titelseite garantiert nicht von Chaos die Rede. Denn das war im Fünfjahresplan der SED nicht vorgesehen.

C h a o s  – das Wort konnten die Leute nicht mal buchstabieren. Und Schnee-Chaos, das gab’s damals auch im Westen nicht. Dabei gab’s dort sonst alles im Überfluß, wie man sich am Kaminofen zuraunte.

Mein Rat in heutigen Zeiten, einfach mal tiefer hängen. Die Begrifflichkeit runterschrauben. Wenn selbst in NDR1 die Radiosprecherin mit künstlicher Aufgeregtheit gewohnheitsmässig nicht nur einmal das Wörtchen "sehr" benutzt, sondern die Ohren mit "sehr, sehr, sehr" volldröhnt, weil die dröhnende Aufgeregtheit jugendlich klingen soll - da wundert es nicht mehr wenn einer ganzen Generation der Komparativ entgleitet. Also sprachlich die Steigerung. Und - weshalb auch immer - notorisch aufgeregte Jugendliche hilflos "voll toll" stammeln, weil sie gewisse sprachliche Fähigkeiten nicht mehr erlernt haben. Sprechen hat aber mit Denken zu tun. Mit klarem Kopf.

Was wäre Chaos? Chaos wäre wenn der Vulkan in der Eifel ausgebrochen wäre.

Absurd?

Anfang Januar hatte ich mit Wissenschaftlern in Süddeutschland telefoniert, die das unmerkliche Anschwellen der Magma-Kammern unter dem Laacher See als dezente Vorboten eines möglichen Ausbruchs gedeutet hatten.

Vielleicht in 10.000 Jahren, in 100.000 Jahren. Oder schon in 1000. Ja, das würde für die Menschheit, wenn sie bis dahin nicht schon sich selbst nuklear gemeuchelt hat, Chaos bedeuten. Nein, sogar die Hölle.

Mitten in Europa. Mitten in Deutschland. Sogar in Niedersachsen fanden sich Niederschläge der gewaltigen Ausbrüche dieses Vulkan-Monsters, das etwa 10.900 Jahre vor Christus den Himmel über Europa verfinsterte.

Doch die ersten Nachrichten von diesem neuerlichen Aufflackern in diesem Jahr hatten zu meinem Erstaunen die wenigsten registriert. In vielen Tageszeitungen tauchte das Thema erst nach mehr als einer Woche auf. Ohne Chaos.

Weil heute der Kreischmodus zum Dauerton geworden ist, ein "sehr, sehr, sehr" zur verpflichtenden Floskel und das angebliche Chaos alltäglich wurde, gehen die leisen Vorboten unter.

Doch sie künden von einer möglichen, wirklichen Apokalypse.

 
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