Der Kommentar

Das raffinierte Spiel mit einem gefühlten Eröffnungsdatum - so einfach funktioniert Nepp und Verbrauchertäuschung

Von Ralph L o r e n z

Wer jetzt zum Juni-Anfang ein Matjesfest zelebriert, der legt es geschickt drauf an. Er spielt mit dem Datum und weiß, dass er Nutzen aus der gefühlten Eröffnung einer Matjessaison zieht. Weil Juni-Tage eben die Tage des neuen, gereiften Matjes sind.  Es ist auch ein Spiel mit der Unwissenheit jener, denen nicht bekannt ist, dass das erste Fässchen „Hollandse Nieuwe“ in den Niederlanden diesmal am 8. Juni, in Deutschland am 9. Juni offiziell geöffnet werden darf.

Alles was vorher auf den Markt gebracht wird, ist, wenn es als neu ausgegeben wird, nicht legal und in der Regel alte Ware. Dass gerade die Rattenfängerstadt Hameln mit ihrem Stadtmarketing hierbei mitspielt und am 29. Mai zu einer „Matjesmeile“ in die Hamelner Bahnhofstraße geladen hat, ist ein übler Vorgang, der die Festorganisatoren und das Stadtmarketing in das Blickfeld des Verbraucherschutzes rückt. Da hilft es auch nichts, wenn die alte Fischerstadt Emden zeitgleich mit Hameln ebenfalls das Wasser nicht halten kann und in viel größerem Stil offensichtlich alten Matjes unters Volk schmeißt. Folglich wittert man in der Niedersächsischen Verbraucherzentrale die Vorstufe zum Etikettenschwindel. Zumindest besteht ein bitterer Beigeschmack. Es macht die Sache nicht besser, wenn der Fischverkäufer vor Ort zurückrudert und von „frischem Matjes“ spricht, in der Hoffnung, dass seine Kundschaft nicht die feinen sprachlichen Unterschiede kennt. Frisch soll auch nach "neu" klingen, es aber nicht sein, wenn es juristisch drauf ankommt.

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Auch Interhelp sitzt mit im leck geschlagenen Boot der Matjes-Glaubwürdigkeit

Es beruhigt auch nicht, wenn das Stadtmarketing den „jungen Matjes“ betont, wohl wissend, dass  Matjes generell junger Fisch ist. Weil er eben als Hering nicht geschlechtsreif wurde. Und es beruhigt erst recht nicht, wenn "Interhelp" mit im leck geschlagenen Boot der Glaubwürdigkeit steckt, weil die sogenannte „Matjesmeile“ letztlich auch einem guten Zweck dienen sollte. Der Zweck heiligt auch hier nicht die Mittel. Wo bleibt da Verbraucher-Help? „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ hatte Ede Zimmermann einst seine Serie genannt, in der er vor Betrugsstrategien und Täuschungsmanövern an der Haustür gewarnt hatte. Wer glaubt, er würde hochwertige Saisonware kaufen und dafür gern bereit ist mehr zu bezahlen, der muss sich zwingend geneppt und betrogen fühlen, wenn er erst beim Biss in den Matjeshappen merkt, dass das Zeug wässrige, mal eben aufgetaute Lagerware vom Vorjahr ist.

Und wer viele Kilometer Anfahrt in Kauf nimmt, um durch eine „Matjes-Meile“ zu flanieren, der ist nicht weniger hinters Licht geführt, wenn er einzig und allein einen einzigen Matjestand vorfindet. Ganz nebenbei gesagt: Eine Meile, das sind 1,609 Kilometer. Etiketten-Betrugsverdacht Nummer 2! Jede Nordsee-Filiale bietet mehr und in einer Qualität, die zumindest überzeugt und die auch noch ohne jeden Verdacht einer Verbraucherlüge auskommt. Möglicherweise hatte es seinen Grund, dass niemand aus dem Weserbergland für die sogenannte „Matjes-Meile“ als Einmann-Show zu gewinnen war. Die Matjes-Verkäufer vom Samstag reisten eigenem Bekunden zufolge aus Duisburg an.

Die Matjes-Meile als Einmann-Show mit nur einem Stand

Es gibt aber auch Hamelner, die leichtgläubig geblieben sind und keine Gräte in dieser leichtfertig aufgetischten Matjes-Marketingidee gefunden haben. Die hiesige Lokalzeitung hatte die zur Unzeit stattfindende "Matjes-Meile" schon in der vergangenen Woche groß angekündigt und heute treuherzig ein Bild veröffentlicht. Erfolgsmeldung von der Matjesfront: Eine Frau beisst genüßlich in ein Matjesbrötchen - und in der Bildunterschrift darunter steht, damit ja kein Zweifel besteht, dass dies der "neue Matjes" sei. Neuer Matjes, vor dem Fang gefangen. Eine Sensation der Weltmeere, die das Haus Oranje erschüttern und Hein Doof von Käpt'n Blaubär mächtig beeindrucken wird. Kein Zweifel: Damit steht der Kandidat für den Münchhausenpreis 2011 schon fest. Und können Bilder lügen? Das wird den Saal in Bodenwerder mit Holländern und Bremern füllen.

Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Es geht auch ehrlich: Am 9. Juni, also in wenigen Tagen, hätte ganz offiziell die neue Saisonqualität angeboten werden können. Niemand und nichts hätte Hameln daran gehindert. Unwissenheit schützt vor Dummheit im Tourismus- und Stadtmarketing nicht: Auf den einschlägigen Internet-Fachportalen der Fischereiwirtschaft läuft ein Counter, der bis zum Matjeseröffnungstag herunterzählt. Auf Tag, Stunde, Minute und Sekunde genau. Das zu wissen setzt allerdings Interesse an der Sache voraus. Und Ideenreichtum.

Warum Bahnhofstraße? Nur, weil sie sich ohnehin „Meile“ nennt, aber in Wirklichkeit meilenweit abgehängt ist und eher das unternehmerische Abstellgleis repräsentiert? Nur weil das Stadtmarketing ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen hat, weil in der Vergangenheit diesbezüglich große Fehler begangen wurden?

Und so irrt der Klabautermann durch die Hamelner Bahnhofstraße

Ebenfalls an diesem Samstag fand das große Wasserfest am Weserufer statt. Die Verbindung dieses fröhlichen Familien-Events mit einer Matjesparty am Weserufer – bei Wellenschlag, Shantychor und Möwenschrei in der zweiten Juni-Woche – das wär’s doch gewesen! Und es wäre gewiss nicht eine Frage des Geldes gewesen. Im Gegenteil. Die nicht mehr zu übertreffende Blindheit der Hamelner im Umgang mit dem Weserufer ist das Grundübel von Fehlplanung und Tourismusverzettelung. Hameln liegt ebenso wie der Stadtstaat Bremen an der Weser. Ein Blick über die Grenzen, würde an alte Handelswege anknüpfen und Geschichtsbewusstsein demonstrieren.

Natürlich kam der Matjes einst über die Weser nach Hameln und nicht auf der „B 1“. So könnte denn auch in Hameln sehr glaubwürdig eine maritime Tradition gepflegt werden – mit einer Schiffsladung Matjesfässer, die am Eröffnungstag der Matjessaison effektvoll aus Bremen/Bremerhaven angeschippert wird. Und die Shantychöre des Weserberglandes könnten ihr schönes Lied vom Weserbogen singen.

So aber irrt der Klabautermann durch die Bahnhofstraße – und versteht immer nur Bahnhof.

 
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