Helmut Eichmann läuft und läuft und läuft

400 Kilometer von Kriegerdenkmal zu Kriegerdenkmal gen Osten - und der besorgte Hinweis auf einen alten Herrn, der mit Schweiß auf der Stirn mutterseelenallein durch Rochau und die Altmark hatscht

Von Ralph Lorenz

Dienstag 14. August 2018 - Rochau (wbn). Der Polizeiwagen fährt ganz sachte, die Scheibe heruntergedreht, stoppt schließlich neben dem einsamen Herren mit dem gleichmütigen Stolpergang.

Die Ordnungshüter steigen aus, werden dienstlich. „Ihren Ausweis bitte“. Und in den großen Rucksack wollen sie natürlich auch gucken. „Hab‘ ich was verbrochen? Warum wollen Sie da reinsehen? Ich bin mir keiner Schuld bewusst,“ entgegnet der ältere Herr mit dem Rucksack und den kurzen Hosen und rückt entschlossen das Kinn nach vorn. Ein verwirrter älterer Herr sei ihnen von einem Bürger gemeldet worden, sagen die Uniformierten. „Und die Beschreibung trifft exakt auf Sie zu!“. Das sitzt. Eichmann schluckt. Kunstpause.

(Zum Bild: Eichmann in Rochau mit dem Bürgermeister am Kriegerdenkmal. Foto: privat / Eichmann)

 

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Der Polizist mustert Helmut Eichmann, sucht nach möglichen Anzeichen des Wahnsinns, etwaigen Drogenkonsums, sieht immerhin feine Schweißperlen auf der sonnengegerbten faltigen Stirn. So wie Eichmann mit den Sportlatschen, dem schweren Rucksack und den kurzen Ringelsocken fast mechanisch die Dorfstraße runtergekommen ist, Schritt für Schritt, dösend vornübergebeugt, könnte er aus dem Heimkehrerfilm „So weit die Füße tragen“ wiederauferstanden sein.

Und in den Wäldern soll es Wölfe geben. Ein joggender Schauspieler fühlte sich von ihnen auch schon verfolgt. Aber getan haben sie nichts. Wer so scheinbar geistesabwesend und ganz allein durch das 700-Einwohner Dorf in dem Kreis Stendal auf dem flachen Land hatscht, der fällt auf wie ein bunter Hund und wird sich schon Fragen gefallen lassen müssen. Und genau darauf wartet ja der Eichmann-Helmut im Grunde genommen.

 

Auf dem Weg zu einem russischen Kloster

Er will auf seiner 400 Kilometer langen Wanderung in ein russisches Kloster Fragen aufwerfen und beantworten. Steine lostreten. Eichmann sieht sich als Dauerläufer in einer Friedensmission. Im vergangenen Jahr war er im niederländischen Heemstede, um Zeichen für den Frieden zu setzen, jetzt ist er in Sachsen-Anhalt auf dem Weg zu den Russen. Genauer gesagt zu den Mönchen in dem russischen Kloster. Mag sein, dass die einen das verrückt nennen und hinter seinem Rücken an seinem Verstand zweifeln. Wenn er etwa unvermittelt zu Gotthilf Fischers Friedenslied anhebt, mit einer tragenden Stimme, die immer etwas überraschend kraftvoll aus dem Bauch herauskommt. Friiieden. Friiiieden. Friiiiiiiieden. Dabei wandert sein Blick in die Ferne.

Eichmanns Feiern zum Volkstrauertag sind schon legendär

So ist er eben, Eichmann, der jedes Jahr zum Volkstrauertag am Denkmal vor dem Schloss in Bad Pyrmont eine beeindruckende Gedenkveranstaltung organisiert. Mit einem deutschen Pfarrer und einem türkischen Imam etwa. Mit Abordnungen aus Moskau, präziser gesagt Chimki. Wo die Wehrmacht Moskau belagert hat. Und wo in den Nachrüstungsjahren die sowjetische SS20 gebaut wurde. In den 70er und 80er Jahren auf Deutschland gerichtet. Aber auch an der chinesischen Grenze disloziert. Ausgestattet mit atomaren Dreifachsprengkörpern. Weshalb die Amerikaner ihre Pershing II als Antwort auf die sowjetische Mittelstreckenrakete in Stellung brachten. Auch auf der Schwäbischen Alb.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) hatte dazu den sogenannten Doppelbeschluss, den Nato-Nachrüstungsbeschluss auf dem SPD-Bundesparteitag in Berlin durchgesetzt. In einer flammenden Schmidt-Schnauze-Redeschlacht gegen den Widerstand großer Teile der SPD um den Partei-Linken Erhard Eppler. Diese Zeit hat Eichmann bewusst erlebt.

Im Bonner Hofgarten gab es vor dem Hintergrund des "Krefelder Appells" eine gewaltige Demonstration gegen den Nato-Nachrüstungsbeschluss.

Und Eichmann stand dann in den vergangenen Jahren Schulter an Schulter mit dem Friedensaktivisten Vladimir Prischepa aus Chimki vor dem Ehrenmal in Bad Pyrmont. Ein kleines Wunder im Mikrokosmos der Kurstadt mit den Palmen. Happy End nach der Mauer. Nach dem Kalten Krieg. In der beschaulichen Welt von Bad Pyrmont im Weserbergland, die auch schon der russische Zar genossen hatte.

Sein Freund, der Friedensaktivist aus Chimki, fehlt ihm

Gelebte Versöhnung eben, bewegende Momente bei Fackelschein. Vladimir, der gute Freund aus Chimki, ein Bruder im Geiste, ist jetzt tot. In diesem Jahr wird Helmut erstmals vor dessen Grab stehen in Chimki. Da will, da muss er jetzt auch noch hin.

Firiiieden. In der Eintracht Germania, Bad Pyrmont, hat Helmut Eichmann dieses Friedens-Lied also verinnerlicht. Ein Konzertengagement als Solist würde er damit wohl nicht bekommen, aber immerhin Respekt. Er singt das einfache, flehende Lied von Fischer auf jeder Station seiner Wanderschaft. Der Mann meint’s ernst, lautet die musikalische Botschaft. Auch wenn manch Zuhörer bei dieser Einlage verlegen lächeln sollte. Ja, diese unbeirrte Zuversicht ist einfach ungewohnt in unserer Zeit.

Eine ganze Zeitungsseite - er ist zum Road Star geworden

Bevor die Ordnungshüter ihre Zeit mit einer Personenabfrage per Funk verschwenden, zieht Helmut Eichmann, der ehemalige Handelslehrer, der stramm auf die 70 zugeht, triumphierend eine Seite der Hildesheimer Zeitung aus dem Rucksack.  Ist schon vom vielen Vorzeigen zerknittert. Aber der Redakteur in der Domstadt hatte sich Mühe gegeben. Eine ganze Seite hat er dem Friedensmarsch von Helmut Eichmann gewidmet. Und die ist jetzt zu einem Passierschein geworden. Sie verfehlt auch nicht ihre Wirkung auf die Ordnungshüter in Rochau. Sie haben's gewissermaßen Schwarz auf Weiß. Der Eichmann-Helmut ist ein ganz Besonderer. Und nicht irgendein Sonderling.

Sonst werden sie nur gerufen wenn Zeitgenossen in unfriedlicher Absicht durchs Dorf ziehen. Jetzt ist Alarm geschlagen worden weil ein Friedensbote friedlich durch das kleine Rochau läuft. Der eine Polizist erzählt unvermittelt von seinem Vater, der noch im Krieg war. Und es scheint so, als hätte Eichmann auf seiner langen Wanderung gen Osten neue Sympathien gewonnen.

Er schafft 30 Kilometer am Tag

Auch in Rochau sucht er das Kriegerdenkmal auf, wird von dem Bürgermeister empfangen. Eichmann ist nicht verwirrt. Und hat sich auch nicht verirrt. Er geht schnurstracks seinen Weg. 30 Kilometer am Tag, wenn’s gut geht auch mal 35. In Bad Pyrmont am Kriegerdenkmal ist er aufgebrochen.

Während andere den Kriegspfad beschreiten ist er auf dem Friedensmarsch.

Der 800 Jahre alte Ort Rochau hat zahlreiche Kriege erlebt. Den Dreißigjährigen Krieg. Und den Siebenjährigen. Das letzte Mal, dass Soldaten anrückten war allerdings im Rahmen des Hochwassereinsatzes. Es war das Panzergrenadierbataillon 411. Am 21. August will der Friedensmarschierer in Götschendorf sein. In dem russisch-orthodoxen Kloster. Und die Russen könnten doch dem Putin eine Botschaft überbringen, meint Eichmann. Eine Friedensbotschaft von ihm, der mit dem Nazi-Eichmann nie was zu tun hatte. Auch nicht entfernt verwandt oder verschwägert war. Der sich wirklich Sorgen macht um den Erhalt des Friedens. Nicht nur in Europa. Es geht ihm um den Weltfrieden. Nun ja, das mit Putin und den Mönchen, die irgendwie ihre Drähte nach Moskau spielen lassen könnten, das hört sich wirklich irgendwie bekloppt an.

Dass er nicht verwirrt oder bekloppt ist, hat er jetzt immerhin amtlich

Aber ein verwirrter alte Mann, wie ursprünglich gemeldet, das ist er nicht. Das hat er jetzt sogar amtlich. Von der Polizei, die ihm noch ausdrücklich alles Gute mit auf den Weg gegeben hat. Heute sind es 20 Grad. Bewölkter Himmel. Helmut Eichmann wird morgen früh wieder in seinen Friedenstrott verfallen. Die Füße haben Hornhaut angesetzt, aber keine Schwielen. Eichmann und die deutschen Eichen sollte man nicht unterschätzen.

 
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