Eines der Opfer ist eine Achtjährige aus Hameln - hat das Jugendamt versagt?
Mehr als 1000 Einzeltaten an 23 Kindern - die Serie schwerer Fälle sexuellen Missbrauchs macht auch gestandene Ermittler fassungslos. Und ein perverser Mitverdächtiger führte offenbar aus Stade über dunkle Internet-Kanäle "live Regie"
Aus Detmold berichten Ralph Lorenz und Veronica Maguire
Mittwoch 30. Januar 2019 - Detmold / Hameln / Stade (wbn). Das Ausmaß des schweren sexuellen Missbrauchs der Kinder im Alter von vier bis dreizehn Jahren macht fassungslos und ist in seiner Dimension noch immer nicht abzusehen.
Nahezu täglich sei es zu Übergriffen gekommen, berichten die Kripo-Beamten und der mit den Ermittlungen befasste Staatsanwalt im Gespräch mit den Weserbergland-Nachrichten.de am Rande der Pressekonferenz im Detmolder Kreishaus. Von 23 in der Mehrzahl weiblichen Opfern ist die Rede. Ein heute achtjähriges Mädchen stammt aus Hameln und wurde auf dem Campingplatz bei Lügde in Ostwestfalen-Lippe offenbar über Jahre hinweg brutal missbraucht und eingeschüchtert. Gerade dieser Fall wirft besonders viele Fragen auf, denn bei dem 56 Jahre alten Tatverdächtigen, einem "Dauer-Camper" aus Lügde, handelt es sich um den arbeitslosen Pflegevater, auf den es schon vor drei Jahren Hinweise gegeben haben soll, dass etwas mit ihm und dem Pflegekind nicht stimmen könne. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln in diesem Zusammenhang nunmehr auch gegen das Jugendamt in Hameln. Und hier kommt möglicherweise Behördenversagen, speziell der Jugendbehörde im Landkreis Hameln-Pyrmont ins Spiel. „Weiterhin wird das Verhalten der für die Jugendfürsorge zuständigen Ämter im Kreis Hameln-Pyrmont und im Kreis Lippe auf ein eventuelles strafrechtlich relevantes Handeln oder Unterlassen überprüft“, heißt es lakonisch in der Pressemitteilung von heute.
Neben 10 Computern und 9 Mobiltelefonen wurden über 40 Festplatten und über 400 weitere Datenträger sichergestellt. Die Auswertung der sich darauf befindlichen Daten dauert an.
Eine Zeugin gab im November 2018 Hinweise auf einen 56-jährigen Mann aus Lügde. Dieser hatte seit dem Jahr 2016 ein damals noch 5-jähriges Kind in Betreuung und sollte eine 6-jährige Freundin seines Pflegekindes sexuell missbraucht haben. Bereits in den ersten Anhörungen der Kinder verdichteten sich die Hinweise darauf, dass der Mann sich nicht nur an der 6-jährigen Freundin, sondern auch an seinem mittlerweile 8-jährigen Pflegekind mehrfach vergangen haben könnte. Der 56-Jährige wurde bereits am 6. Dezember 2018 festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Durchsuchungen in den Wohnräumen des Mannes sowie auf einem Campingplatz in Lügde, führten zum Auffinden von umfangreichen Beweismaterialien. Die Auswertungen elektronischer Datenträger sowie weitergehende Anhörungen führten die Ermittler zu weiteren Taten und Opfern, so dass die Polizei eine Ermittlungskommission gründete. Diese besteht aus insgesamt neun Beamtinnen und Beamten.
"Bei der Auswertung der sichergestellten Beweismittel und bei den Anhörungen der Kinder kamen perfide Einzelheiten zu Tage, die mich und die anderen Kolleginnen und Kollegen noch lange nach Dienstende beschäftigen", beschreibt der Leiter der Ermittlungskommission, Kriminalhauptkommissar Gunnar Weiß, die Ermittlungen.
Im Rahmen der Ermittlungen gelangten zwei weitere Tatverdächtige in den Fokus. Diese standen mit dem bereits festgenommenen 56-Jährigen in Kontakt und tauschten auch Material mit kinderpornografischen Inhalten aus. Zum Teil begingen die Tatverdächtigen den Missbrauch unter Beteiligung der anderen.
Im Januar beantragte die Detmolder Staatsanwaltschaft zwei weitere Haftbefehle, die das Amtsgericht Detmold erließ. Daraufhin wurde am 10. Januar 2019 ein 48-jähriger Mann aus Stade an seiner Wohnanschrift in Niedersachsen festgenommen. Ein 33-jähriger Steinheimer (Kreis Höxter) wurde am 11. Januar 2019 in Lügde festgenommen. Beide Männer befinden sich seitdem in Untersuchungshaft.
Neben den Ermittlungen wegen schweren sexuellen Missbrauchs haben sich weitere Ermittlungsstränge ergeben. Ein Strang umfasst die Kinderpornografie, die sich auch auf eine Verbreitung im Internet erstreckt. Weiterhin wird das Verhalten der für die Jugendfürsorge zuständigen Ämter im Kreis Hameln / Pyrmont und im Kreis Lippe auf ein eventuelles strafrechtlich relevantes Handeln oder Unterlassen überprüft.
Alle 23 Opfer sind in Sicherheit, die Polizei hat umfangreiche Opferschutzmaßnahmen eingeleitet. "Dem Opferschutz und der Opfernachsorge räumen wir einen hohen Stellenwert ein", betont der Erste Kriminalhauptkommissar Achim Tietz als Leiter des zuständigen Kriminalkommissariats. "Wir haben entsprechende Hilfen für die Kinder, für betroffene Angehörige aber auch für unsere Kolleginnen und Kollegen der Ermittlungskommission Camping angeboten."
Sachdienliche Hinweise nimmt die Kreispolizeibehörde Lippe unter der Rufnummer 05231 / 609 - 30 56 entgegen.“