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Der Kommentar

Wahrheiten zum Weinfest: Nur die Trauben mit Kernen sind naturbelassen und ohne hormoneller Behandlung

Von  R a l p h  L o r e n z

Im Hamelner Bürgergarten wird beim Weinfest auch an diesem Sonntag wieder Wein kredenzt.

Viele Winzer haben jetzt noch Zeit für ihre Vermarktungskampagnen außerhalb der eigentlichen Weinanbaugebiete. Deshalb sind sie in den nördlichen Regionen weitab von ihren Anbaugebieten unterwegs. Denn im September sind sie in ihren eigenen Reblagen gefordert. An Rhein, Mosel, Nahe oder Neckar. Und das bedeutet Schwerstarbeit in zum Teil unwegsamem Gelände.

 

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Im August und September richtet sich ihr Augenmerk auf die Öchslegrade. Dazu zücken sie das Refraktometer. Damit wird im Saft aus der Traube der momentane Zuckergehalt bestimmt.  Es lassen sich erste Aussagen zu der zu erwartenden Qualität des Rebsaftes treffen. Auf meinem Weg zur Arbeit bin ich viele Jahre am Rande der Weinberge hochgestiegen und habe mir ganz nebenbei mein Wissen zu den Rebsorten am Wegesrand zwischen den Rebstöcken erworben. Und gerne den Test mit dem Gaumen gemacht.

Es waren Trollinger, Gewürztraminer und Portugieser, die mich mit ihrer prallen Traube verführten. Um es vorweg zu sagen: Wann immer die ahnungslosen Kolleginnen und Kollegen von Wein-„Ernte“ sprechen und schreiben, halte ich ihnen freundlich entgegen: Das heißt Wein-Lese.

Die Trauben werden selektiv gelesen, gefühlvoll in die Hand genommen und in die Trage-Butte geworfen, die auf dem Rücken geschnallt ist. Und ja: Die Trauben haben Kerne. Denn sie sind nicht hormonbehandelt und also naturbelassen.

Was uns als Tafeltrauben in den Supermärkten untergejubelt wird – als „seedless“ angepriesen – ist gewiss nicht „bio“ und hochwertig. Es ist für die Generation bestimmt, die glaubt, der Strom komme aus der Steckdose und die Eier aus der „Legebatterie“. Und die sich an den Trauben-Kernen stören. Eine unverfälschte Traube hat bis zu vier Kerne. Sie enthalten wichtige Mineralien für den Körper und bestimmen den Geschmack. Trauben werden also unbedingt mit Kernen gegessen. Doch es ist inzwischen schon Geheimwissen, wenn auf die Hochwertigkeit von Traubenkernöl hingewiesen wird. In Tirol – da kommt auch der Trollinger her – wird es für herzhafte Salate verwendet. Und: Traubenkerne haben entzündungshemmende Eigenschaften. Nach der Redaktionsarbeit habe ich mir zuweilen abends einen Ausklang bei „Mutter Widmer“ im Weinlokal hinterm Leonberger Rathaus gegönnt. Sie hat mir dann versonnen mein „Achtele“ mit dem hellrot in der Nachmittagssonne schimmernden Trollinger unaufgefordert an den Tisch gebracht. Und eine Laugenbrezel ins Körbchen gelegt.

Die anderen Gäste lehnten schweigsam über ihre „Viertele“ mit Lemberger oder ihrem halbtrockenen Müller-Thurgau. Und sie „schlotzten“ bedächtig. Es ist dieses Geräusch, das die vermeintlich besseren Damen aus besseren Kreisen, erkennbar an ihrem zwanghaft abgespreizten kleinen Finger ihrer rechten Hand, mit misslichem Blick naserümpfend quittieren. Sie wussten eben nicht, dass diese künstliche Anreicherung mit eingesogener Luft im Mundraum die Genußfähigkeit erhöht. Stattdessen lassen sie sich besoffen reden von der albernen Weinproben-„Abgangs“-Lyrik unserer Tage. Dazu eine alte Weisheit: Die Qualität eines Weines offenbart sich erst nach dem zweiten, dritten Glas. Und vielen Wiederholungen. Denn die entsprechenden Geschmacksknospen auf der Zunge müssen sich erst herausbilden. Man muss an keinem Weinseminar teilgenommen haben. Eine Expertise erreicht jener Neuling, der vor Ort in einen Weinberg geht.

Zur Zeit der Weinlese und die Traube direkt von der Rebe kostet. Und dann zu einem Glas Wein aus dem Vorjahr greift, das direkt aus dieser Lage stammt. Und wer dann zu der Nachbarlage läuft und das Prozedere wiederholt wird vielleicht sogar leichte Geschmacksnuancen erkennen. Aufgrund einer anderen Bodenbeschaffenheit an dieser Stelle und anderem Lichteinfall. Bei der gleichen Rebsorte, wohlgemerkt. Dieses unmittelbare Parallelerlebnis – Traube zum Tropfen – erspart das erbärmlich Gesülze selbsternannter Weinexperten, die sich in ausschweifende Wortgirlanden über Geschmacksnoten ergehen. Der eigentliche Kenner hält sich ohnehin zurück. Schaut versonnen in das schillernde Glas und lässt auf seinem Gesicht die Gedanken lesen. Es sind warmherzige Gedanken. Weinfeste verlaufen durch die Bank friedlicher als Bierfeten mit ihren Schnapsideen. Das ist eine Tatsache.

Und die übliche Party-Remmidemmi-Musik ist auch nicht angebracht. Da muss garnichts "gerockt" werden. Das sollte man in stiller Freude der sanften Wirkung des Weines überlassen. Wie sang Willy Schneider doch so beruhigend und altersmild: "Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein..."

 

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