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Es wird Zeit das Selbstverständnis und die Rolle von Staatsanwaltschaft und Richterschaft zu hinterfragen

Warum der Fall Kachelmann für ein ordentliches Gewitter in der deutschen Gerichtslandschaft sorgen muss

Von Ralph L o r e n z

Jörg Kachelmann ist wieder ein freier Mann. Aus der U-Haft entlassen ohne jegliche Auflagen. Der 3. Senat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat damit ein deutliches Signal gesetzt. Möglicherweise wird der „Fall Kachelmann“ sogar Rechtsgeschichte schreiben. Denn hier wird ein Problem deutlich, das sich immer mehr in die deutsche Rechtswirklichkeit eingeschlichen hat. Die Staatsanwaltschaft hat im sorgsam austarierten Rechtsgefüge begonnen ein Eigenleben zu führen, das Zweifel aufkommen lässt, ob sie noch das ist, was sie laut Verfassung sein sollte: Eine objektiv ermittelnde, in keinem Fall weisungsgebundene Behörde.

Sie hat stets auch zu Gunsten der unter einem Anfangsverdacht stehenden Person zu ermitteln und aktiv entlastendes Material zu suchen! Und es gilt im Strafrecht der Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten!  Doch ist das noch gewährleistet in einem Rechtsystem der Bundesrepublik Deutschland, das immer mehr der Unart folgt zentrale Leitungspositionen in Staatsanwaltschaften und Gerichten auch unter Beachtung des Parteibuches personell zu besetzen? Wie weit die Justizbehörden von diesem Ideal entfernt sind und hier wiederum speziell die Staatsanwaltschaft, zeigt der Fall Kachelmann, lassen aber auch regionale Fälle erahnen. Das heutige Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe wird in den Medien als „Klatsche“ für die Justiz in Mannheim  gewertet. Zu Recht!

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Die spektakuläre Festnahme des beliebten Fernsehmoderators am Frankfurter Flughafen, das beharrliche Festhalten in der U-Haft, die groteske Mißachtung von Gutachten mit eindeutiger Entlastungstendenz – all das trägt die Züge einer Vorverurteilung noch bevor der eigentliche Prozeß begonnen hat.

Warum Fluchtgefahr? Er war doch jeden Abend vor der Wetterkarte!

Schon durch die Art der Festnahme ist die Existenz eines angesehenen Mannes vernichtet und er in ein unerträgliches Zwielicht gestellt worden. Fluchtgefahr? Welche Fluchtgefahr!

Die Staatsanwaltschaft hätte nur jeden Abend den Fernseher anmachen müssen. Da wäre der Kachelmann, dieser wuschelige Wetter-Freak zuverlässig vor der Wetterkarte gestanden! Aber sie wollten ihn um jeden Preis hinter Gittern haben. Nur so wird ein Staatsanwalt nach den Gesetzen dieser Mediengesellschaft zum Schlagzeilenstar.

Menschen mit anderem Persönlichkeitsprofil hätten sich unter diesen Umständen durchaus in einer Kurzschlußreaktion in der Zelle das Leben genommen. Weil die private und berufliche Perspektive über Nacht geraubt worden ist. Auch nach der Freilassung gilt: Wer hebt diesen Wetterfrosch wieder auf die Medien-Leiter? Die ARD doch nicht. Die hat ihn schön sauber voreilig fallen lassen und sich vornehm distanziert.

Ziel ist es einen Druck aufzubauen, der ein Geständnis erzwingen soll

Genau das wollten doch die Herren Staatsanwälte. Druck aufbauen, damit Kachelmann die Nerven verliert "und gesteht". Schon in einem anderen Fall haben wir an dieser Stelle gemutmaßt, dass die möglichst spektakuläre Festnahme einer regional oder überregional bekannten Persönlichkeit unterschwellig zum nicht legitimierten Arsenal der Staatsanwaltschaft gehört. Jedenfalls können Staatsanwaltschaften in Allianz mit der an ihren Weisungen gebundenen Kripo diesem Versuch nicht widerstehen. Das Spektrum dieser Taktik reicht vom einschüchternden Bluff bis zur Traumatisierung der lediglich unter Tatverdacht stehenden Person, die dadurch schon wieder zu einer Art Opfer wird. Ziel ist es unbarmherzig einen Druck aufzubauen, der ein Geständnis erzwingen soll. Auch dort, wo es nichts zu gestehen gibt. Auch Staatsanwälte, junge wie alte, können sich gewissen Eitelkeiten ihres Berufsstandes nicht verschließen, der in seiner Allmacht nur noch von der Steuerfahndung übertroffen wird.  Wer sich durch die Unverhältnismäßigkeit der Mittel zum Herren über ein Berufs-, Familien- und Menschenschicksal erhebt, muss sich fragen lassen, auf welcher Rechtsgrundlage das noch geschieht? Kann er morgens noch in den Spiegel schauen?

Früher gab es einmal die Halbgötter in Weiß. Heute gibt es die Halbgötter in Schwarz.

Früher gab es einmal die Halbgötter in Weiß. Das waren die Ärzte. Heute gibt es die Halbgötter in Schwarz. Das sind Staatsanwälte und Richter, im Ansehen bombastisch aufmunitioniert durch einschlägige „Gerichts-Shows“ im nachmittäglichen Privatfernsehen.

Wer kontrolliert diese priesterhaft schwarz gewandeten Herrschaften eigentlich? Außer wiederum Richter?Die Presse vielleicht? In vielen Fällen eine Fehlanzeige.

Es gibt eilfertige Polizeireporter, die wollen es mit der Kripo oder der Staatsanwaltschaft nicht verderben. Sie laufen nämlich Gefahr vom sorgsam dosierten Tropf der Informationen abgeschnitten zu werden. Dann habyen sie die Schlagzeile nicht mehr als erster. Dann werden sie am Tatort nicht durchgewunken. Das geht dann auch da an die berufliche Existenz. Wirklich kritische Gerichtsberichterstattung ist ein hehres Gut im deutschen Journalismus und erfordert Unabhängigkeit. Da fällt einem allenfalls die Spiegel-Autorin Friedrichsen ein, die hin und wieder couragiert  eine Lippe riskiert.

Kuhhandel in der Gerichtskantine - welcher Anwalt legt sich schon mit einem Richter an?

Und wie sieht es mit der Verteidigung aus? Da ist es auch nicht besser. Richter müssen nicht wirklich Befangenheitsanträge fürchten. Derselbe Anwalt will doch bei einem anderen, lukrativeren Mandanten beim Käffchen in der Gerichtskantine wieder gut Wetter machen. Die vielen Deals außerhalb des Gerichtssaales haben nicht immer mit Prozessökonomie und Rechtsfindung zu tun. Es grenzt an Kuhhandel, bei dem der drohende Gesichtsverlust einer Anklagevertretung, die sich vergaloppiert hat, schwerer wiegt als die drohende Vernichtung des Lebensentwurfes eines zu Unrecht belasteten Menschen. Instanzenschutz geht vor Menschenschutz.

Der Fall Kachelmann scheint hervorragend geeignet für ein reinigendes Gewitter in den deutschen Gerichtssälen. Staatsanwälte mit Starallüren, Verteidiger mit Promi-Ambitionen, Richter, die ihr Weltbild über das Gesetz stellen und sich in der Attitüde gefallen über jeden Zweifel erhaben zu sein – all dies kündigt sich hier, einem Wetterleuchten gleich beim Prozess über den Wetterpropheten an. Und es findet sein Echo als Donnergrollen in vielen Gerichtssälen landauf landab.

Mit unserer Rechtsprechung und der Ausbildung der Juristen stimmt etwas nicht mehr in Deutschland! Denn Recht zu bekommen ist auch längst schon eine Frage des Geldes geworden. Die Sache mit der Prozesskostenbeihilfe ist ein Märchen für Lieschen Müller. Pflichtverteidiger tun nicht mal ihre Pflicht, sondern behandeln ihren Mandanten als Person dritter Klasse. Es herrscht Willkür auf allen Ebenen. Ob es die Freilassung von Sexualstraftätern ist, nach dem Motto: Nach mir die Sintflut. Ob es die Faulheit, intellektuelle Begrenztheit oder schlichte Zeitnot beim Aktenstudium ist: Der Niedergang der Rechtsprechung in Deutschland kann nicht allein mit der Prozeßflut entschuldigt werden.

Brutale, sorgsam inszenierte Festnahmeaktionen mit steuernden Hinweisen an die Presse

Die brutalen, sorgsam inszenierten Festnahmeaktionen von gewissen Staatsanwälten, hintersinnig mit steuernden Hinweisen an die Presse verknüpft, sollen zur Schockstarre des Verdächtigen führen, dessen Schuld ja erst einmal erwiesen werden muss. Doch wer leiht ihm noch Geld zur Verteidigung, wenn er schon dermaßen öffentlich am Pranger steht und von diversen Presseorganen bereits voreilig hingerichtet worden ist?

Der Fall Kachelmann entwickelt sich in dieser Hinsicht geradezu zum Klassiker. Hier der prominente, angebliche oder tatsächliche Täter, der ein letztes Mal wie eine Supernova am Medienhimmel aufgeht, um dann für immer zu verblassen – dort das tatsächliche oder vermeintliche stille Opfer, das seine Opferrolle plötzlich als Weg in eine gewisse "Wichtigkeit" entdeckt.  Und: Es gibt in diesem Klassiker nur eine Hauptbelastungszeugin. Es steht also Aussage gegen Aussage. Das tatsächliche oder vermeintliche Opfer lässt psychische Auffälligkeiten erkennen, die allen anderen ins Auge fallen, nur nicht dem Staatsanwalt und der Richterschaft. Gutachtermeinungen werden weggewischt oder passig dargestellt. Obwohl der angebliche Täter durch die nach und nach ans Licht tretenden Fakten immer mehr entlastet wird, bleibt er in U-Haft – wohlwissend, dass er sich da am wenigsten der Verdächtigungen erwehren kann und die Arbeit der Verteidigung erschwert wird.

Staatsanwälte und Richter haben ein Jura-, aber kein Liebesstudium hinter sich

Besonders fatal: Da ist auch noch eine zwischenmenschliche Beziehung zum angeblichen Opfer im Spiel. Liebe! Liebesverhältnisse haben die Eigenschaft, dass sie sich in ihrer besonderen Art Außenstehenden auf den ersten Blick, und auch noch auf den zweiten, verschließen. Und es ist leider eine Tatsache, dass manche Menschen beim Thema Liebe generell blind sind. Vor allem Richter nicht ausgenommen. Wer aber mit etwas Lebenserfahrung Augen hat zu sehen, erkennt auch, dass dort, wo Liebe im Spiel ist, die Motive ein verstecktes launiges Liebesnest haben. Hier sind die Motive für ungewöhnliche, bizarre Verhaltensweisen. Auch und gerade für Rache. Und daraus kann das Bedürfnis entstehen einem Menschen, von dem man im Nachhinein enttäuscht ist, mit geradezu krimineller Energie heftig zu schaden. Auf äußerst brutale und existenzvernichtende Weise. All das trägt die raffinierte, sehr effiziente Tarnkappe der scheinbaren Unlogik. Der Richter sieht deshalb im weiteren Verlauf folglich kein „logisches“ Motiv für ein Lügengebäude des Opfers, für falsche Anschuldigungen, für die Tat an sich – obwohl die Anzeichen dafür eigentlich unübersehbar sind – und verurteilt im strammen richterlichen Durchmarsch den Falschen, nämlich den Angeklagten. Den Richter umgibt hierbei die Aura der Unbeirrbarkeit. Er gilt als hart und wird immer versagen wo es um weiche, verdeckte Motive geht.

Und da gibt es noch so einen denkwürdigen Fall mit einer Hauptbelastungszeugin direkt vor unserer Haustür

Eine einzige Hauptbelastungszeugin, die für sich die Unfehlbarkeit in Anspruch nimmt, aber gleichzeitig der mehrfachen Lüge überführt werden kann und letztlich damit ihren Vernichtungswillen dokumentiert; ferner die Aussage-gegen-Aussage-Situation; die Unverhältnismäßigkeit der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Angeklagten, die materielle Vernichtung des Beklagten, noch bevor ein Urteil gesprochen worden ist sowie eine brisante Liebesbeziehung, die hernach Rachegefühle befeuert – all das findet durchaus manch eine Parallele in der deutschen Gerichtslandschaft.

In besonders beunruhigendem Maße spiegelt sich das in einem Fall wieder, der hier vor der Tür im Weserbergland spielt und aktuell als Marathonprozess vor dem Landgericht in Hildesheim für Aufsehen sorgt. Hier wie in Karlsruhe geht es um die zentrale Frage der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin. Es gibt darüber hinaus keine objektiven Beweise, die den Angeklagten beziehungsweise den Tatverdächtigen tatsächlich belasten können!

Wie gesagt, Wetterprophet Kachelmann sollte für ein ordentliches, die Luft bereinigendes Gewitter sorgen, das über ganz Deutschland zieht.

 

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