Der Arztprozeß vor der Wirtschaftsstrafkammer in Hildesheim am 28. Verhandlungstag
Eine Belastungszeugin, die zum Schluß ziemlich "alle" ist, ein nicht mehr ladungsfähiger Computer und der ziemlich tote Verdacht eines Arzt-Kollegen
Beobachtungen vor dem Landgericht Hildesheim von Ralph L o r e n z
Hildesheim (wbn). Es ist kein guter Tag für die Hauptbelastungszeugin Angelika Gramse. Sie macht verstärkt Erinnerungslücken geltend. Ihr sind sogar Fähigkeiten abhanden gekommen.
Nämlich die Fähigkeiten, den alten Praxis-Computer zu bedienen, wie sie außerhalb der Verhandlung vor der Wirtschaftskammer des Hildesheimer Landgerichts dem Staatsanwalt in der Gerichtskantine gesteht. Und der meint sogar Tränen gesehen zu haben, die in den Augen schimmerten. Das ist so gesehen auch kein guter Tag für den Oberstaatsanwalt Mahnkopf. Denn schließlich baut sein ganzes Anklagekonstrukt auf der sagenhaften Erinnerungsfähigkeit der „Hauptbelastungszeugin“ auf. Es ist auch kein guter Tag für den Vorsitzenden Richter Braumann. Der muss nämlich zu Beginn der Verhandlung einräumen, dass der auf Wunsch der Verteidigung vor Gericht erschienene Praxis-Computer sein Computer-Gedächtnis verweigert. Der Schirm bleibt dunkel weil Gerichtsbedienstete das Ding offenbar unsachgemäß transportiert haben und auf einem ungefederten Rollenwagen geschoben oder gezogen haben. Das mögen Festplatten nicht.
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Auf dem "Dienstweg" im Landgericht wurde auf schusselige Weise Beweismaterial beschädigt oder gar vernichtet
Im technischen und juristischen Sinn war das Computergedächtnis nicht mehr ladungsfähig – obwohl fristgerecht vor-, aber nicht hochgeladen. Anders ausgedrückt: Buchstäblich auf dem Dienstweg in den Fluren des Landgerichts wurde durch Schusseligkeit Beweismaterial beschädigt oder gar unfreiwillig vernichtet.
Was die Verteidigung mit dem Computer beweisen will, wenn die Schäden denn reparabel sein sollten, ist deshalb gegenwärtig noch unklar. Auch der Staatsanwalt hätte es zu gern gewusst. Und möglicherweise hat diese Unklarheit auch die Hauptbelastungszeugin verunsichert. Jedenfalls wird die Bedienung des Computers aus Sicht der Verteidigung offenbar noch eine Schlüsselrolle spielen.
Es ist der 28. Verhandlungstag im Marathonprozess um den Arzt aus Salzhemmendorf Jürgen Janzen, dem von der Anklage Abrechnungsbetrug unterstellt worden ist – zusammen mit seiner Ehefrau. Mehr als hundert Zeugen wurden gehört, nachgewiesen ist bis heute noch nichts. Gleichwohl will der Richter in seinem ersten eigenständigen Prozess als Vorsitzender einer Gerichtsverhandlung bald ein Urteil fällen. Wohl deshalb macht er zu Beginn der Vernehmung der Hauptbelastungszeugin Hoffnung, dass dies jetzt nun doch ihr letzter Auftritt vor Gericht sein werde. Zumindest in diesem Prozess. Gegen Ende dieses Verhandlungstages ist auch diese Illusion zerstoben.
Schuld ist die Hauptbelastungszeugin selbst. Schuld ist ausgerechnet ihr Erinnerungsvermögen. Verteidiger Dr. Dieckmann, der mit lang ausgestrecktem Arm, Notizen machend, scheinbar entspannt im Stuhl hängt, schnellt plötzlich nach vorn, zuckt nervös mit den Augenlidern, zieht die Stirn in Falten und will es ganz genau und zum Mitschreiben wissen.
"Alle, wirklich alle?" fragt erstaunt der Verteidiger Dr. Dieckmann
Angelika Gramse hat soeben behauptet, dass sie und alle, wohlgemerkt „alle“ Mitarbeiter in der Arztpraxis Janzen jedes Quartal ihre eigene Krankenversicherungskarte einlesen „mussten“. Egal ob sie krank waren oder nicht. Gleichgültig, ob sie von ihrem Chef und Arzt behandelt wurden oder nicht. Diese Behauptung der Hauptangeklagten stand unvermittelt im Raum, wurde damit begründet, dass schließlich „alle“ vor Janzen „Angst“ gehabt hätten. Dr. Dieckmann fragte ungläubig nach: „Alle, wirklich alle?“
Woher sie denn das wisse. Das mit dem Einlesenmüssen der Versicherungskarte und mit der Angst. Dieckmann wollte die Namen der Gramse-Kolleginnen wissen, die aus „Angst“ eingelesen hätten, die angeblich ihre Chip-Karte eingelesen hätten, obwohl ihnen nichts gefehlt habe. Woher sie denn überhaupt wisse, dass die Kolleginnen „nicht behandelt“ worden seien.
Und wieder die Frage nach der Angst. Was sie denn unter „Angst“ verstehe, wie sie das definiere. Da war er plötzlich wieder: Der eiskalt als schier unumstößliche Tatsache vor Gericht erhobene Vorwurf des angeblich systematischen Abrechnungsbetruges des Allgemeinpraktikers Jürgen Janzen. Vorgetragen von der ehemals engsten Mitarbeiterin des Salzhemmendorfer Arztes, die der Richter zuweilen mit einem Anflug von Bewunderung bedenkt, wegen ihres angeblich fabelhaften, detailfreudigen Gedächtnisses. Ohne Wenn und Aber formuliert.
Genau dies wollte die Staatsanwaltschaft hören. Und der Richter – dieser Verdacht verdichtet sich am 28. Verhandlungstag nach unnötiger vorzeitiger Festlegung auf die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeklagten – offenbar auch. Die Botschaft der Tatsachenbehauptung war eindeutig: Der Arzt Janzen betrügt nicht nur, sondern er zwingt auch alle Mitarbeiterinnen diesen Betrug in jedem Quartal gegen den eigenen Willen mitzumachen. Nicht nur Frau Gramse.
Eine beinharte Tatsachenbehauptung wird zum Steinbruch der Wahrheit - immer mehr bröckelt weg
Und dann geschah etwas Seltsames. Diese Grundmelodie des Betrugsvorwurfes wurde von der Hauptbelastungszeugin vor der Wirtschaftsstrafkammer wie in einem Kammermusikkonzert in ausschmückenden Variationen vorgetragen. Wann immer Anwalt Dieckmann erneut nachfragte, hinterfragte, bekam er die Antwort in einer anderen Wendung.
Plötzlich waren mit dem Absolutheitswort „alle“ nicht mehr alle gemeint. Was die Angst und das Chipkarten-Einlesen betraf. Plötzlich wurde eingeräumt, dass ja diejenige Kollegin, die mit dem Arzt „auch mal Kaffee trinkt“ vielleicht keine Angst vor ihm gehabt hätte. Aber für die anderen habe dies gegolten.
Dieckmann gibt mit hellwachem Verteidigerinstinkt nicht nach: Er will weiterhin Namen wissen und notieren, durch die Ungeheuerlichkeit der Behauptung der Hauptbelastungszeugin wie elektrisiert. Doch aus dem „alle“ werden aufgrund des Nachfragens lediglich zwei weitere Namen, Mitarbeiterinnen, von denen die Belastungszeugin glaubt, sie hätten, wie sie, auch ihre Versicherungskarte einlesen „müssen“.
Die Hauptbelastungszeugin erkennt vor Gericht: "Jetzt muss ich mir jedes Wort überlegen"
Zuletzt bleibt, auf weiteres Insistieren, wirklich nur ein Name übrig, den sie mit Gewissheit sagen kann. Ihr eigener. Die Zeugin scheint alle zu sein. „Jetzt muss ich mir jedes Wort überlegen“, hat sie folgerichtig erkannt und schweigt erst einmal. Das hatte ihr aber der Richter bereits bei der Zeugenbelehrung eindringlich ins Gedächtnis gerufen. Dass nicht nur der Meineid sondern auch das bloße „Daherreden“ strafbar sein könne.
Das scheinbar sorgsam abwägend vorgetragene Wort hatte die Hauptbelastungszeugin von Anfang an wie ein Markenzeichen gepflegt, Wahrheitsliebe suggerierend, zierlich im Zeugenstand stehend, in einer Pose, die Beschützerinstinkte wecken soll. Natürlich wird alles im richtigen, bedeckten Tonfall vorgetragen. Kein „falsch' Zeugnis sprechend“, wie es sich für ein frisch gebackenes Kirchenvorstandsmitglied im Flecken Salzhemmendorf gehört. Sowas erzeugt für Staatsanwalt und Gericht juristische Wohlfühlatmosphäre vom Feinsten und die im Angeklagten aufsteigende Zornesröte erscheint wie ein korrespondierender Wahrheitsverstärker.
Den Verteidiger Dr. Dieckmann irritiert, dass auf eine klare Frage nicht nur immer wieder in einer anderen Variante geantwortet wird, sondern zuletzt sogar die Aussage verweigert wird, weil ja alles schon gesagt worden sei. Und die Hauptbelastungszeugin hat die Verteidigung natürlich längst durchschaut. Die frage ja nur in einer bestimmten Absicht.
Dr. Dieckmann schaut jetzt immer wieder zum Richter und zum Staatsanwalt hinüber. Der Staatsanwalt wird gerade Zeuge, wie sich seine Gedächtniskünstlerin entzaubert. Richter Braumann will ihr offenbar einfühlsam beispringen (dabei kann Braumann auch anders: einen jungen Zeugen, mehr Kind als Jugendlicher, war er mal im Tonfall ziemlich eckig angegangen, als der rumdruckste).
Wenn Richter Braumann sich in das "Weltbild" der Hauptbelastungszeugin einfühlt, versteht Verteidiger Dieckmann die Welt nicht mehr
Dass mit dem klaren Wort „alle“ nicht gleich „alle“ gemeint sei, sondern nur zwei ihrer Kolleginnen, deutet Braumann so: „Das ist ihr Weltbild“. Die Sichtweise der Zeugin, wie sie mit dem deutschen Wort "alle" umgeht. Eine Sternstunde der Zeugenvernehmung deutscher Gerichtsbarkeit in einem Strafprozeß: Der Richter deutet mal eben eine knallharte Aussage, die ohne weitere Hinterfragung zu einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Abrechnungsbetruges gereicht hätte, wahrscheinlich noch in Verbindung mit der angeblichen Nötigung von Mitarbeitern, in eine wolkige Weltbild-Interpretation um. Für Dieckmann ist das alles zuviel. „Ich glaube, wir kommen jetzt alle auf den kurzen Rasen,“ murmelt er.
Und wenn er murmelt, dann kann er richtig böse werden. Solche freundlichen semantischen Deutungen von der Richterbank lässt er nicht durchgehen: „Wir müssen die Rechte unseres Mandaten wahren.“ Dieckmann kann sich – jetzt wird er süffisant - des Eindrucks nicht erwehren, dass die Hauptbelastungszeugin seitens des Gerichts und der Staatsanwaltschaft „unter Artenschutz steht", spricht verärgert von einer „Glasglocke“, die über sie gestülpt sei.
Dahinter steht natürlich die Frage: Was bleibt für die Anklage und die Urteilsfindung, wenn sich die forschen Behauptungen der Haupt-Belastungszeugin, die in Wirklichkeit keine einzige Neben-Belastungszeugin hat, als Luftnummer erweisen? Bei dem offenbar von Gramse leichtfertig dahingesagten Wort „alle“, geht es für die Verteidigung um den Kern der Sache: Deren grundsätzliche Glaubwürdigkeit und Lauterkeit.
Der Arzt und die Hauptbelastungszeugin - einst soll sogar mal von Liebe die Rede gewesen sein...
Auch an diesem Tag wird deutlich, dass Angelika Gramse, die ehemalige enge und von Janzen gekündigte Mitarbeiterin, anscheinend keine Gelegenheit für einen Belastungsversuch auslässt. Jürgen Janzen hat dafür schon mehrfach das Motiv genannt: Rache und Eifersucht nach einer erkalteten Liebesbeziehung. Angelika Gramse, die beruflich mit der Abrechnung und Bearbeitung der Patientendaten am Praxiscomputer betraut war, hat – so sieht es die Verteidigung – demnach hinter dem Rücken des Arztes und dem Rücken seiner mitangeklagten Frau Manipulationen mit Patientendaten vorgenommen um ihrem Arbeitgeber und vorübergehenden Liebespartner existenziell zu schaden. Sie wiederum sagt, sie habe den Computer nur auf Anweisung ihres „Arbeit-Gebers“ gefüttert.
Vor diesem Hintergrund erweist sich ein weiterer Vorgang als bizarr. Jürgen Janzen hatte vor kurzem zwei Schreiben präsentiert, die belegen, dass die Hauptbelastungszeugin im krassen Gegensatz zu ihren Aussagen vor Gericht ihn als „weisen Chef“ lobte und stolz auf ihre Arbeit in der Praxis Janzen verwiesen hat, was mit dem Ausdruck höchster Zufriedenheit schriftlich vorgetragen worden ist. Demgegenüber hatte Gramse vor Gericht stets von ihrer Unzufriedenheit am Arbeitsplatz und ihrer großen Angst gesprochen.
Vor Gericht kam sie nun an diesem 28. Verhandlungstag nicht umhin die Urheberschaft dieser Schreiben zu bestätigen, gab aber eine erstaunliche Erklärung dafür ab. Es sei nahezu identisch mit einem Bewerbungsschreiben gewesen, das sie auch an den Salzhemmendorfer Gemeindebürgermeister Martin Kempe gerichtet habe. Nur, dass sie bei dem das Wort von dem „weisen Chef“ weggelassen hat. Gewissermaßen soll dies eine standardisierte Wortwahl ihrer Selbsteinschätzung und Leistungsbeschreibung gewesen sein.
Die formvollendete Art und Weise, wie ein Tyrann in Weiß um eine Gehaltserhöhung gebeten wird...
Die allgemeine Verwunderung darüber war in diesem Moment im Gerichtssaal raumfüllend: Eine Hauptbelastungszeugin, die öffentlich und mit der Vorstufe zu feuchten Augen beklagt, dass sie gegen ihren Willen Datenmanipulationen begehen musste und vor dem „Arbeit-Geber“ sogar soviel Angst gehabt habe, dass sie deshalb über Jahre hinweg sich in psychiatrische Behandlung begeben musste, bittet auf dem Höhepunkt eben dieser angeblichen Belastung diesen Tyrannen in Weiß um eine Gehaltserhöhung.
Sie schreibt regelrecht eine Bewerbung mit der Bitte um Weiterbeschäftigung aufgrund ihrer besonderen nachgewiesenen Qualifikationen. Eine plötzliche Stellenbewerbung in fortwährend ungekündigtem Arbeitsverhältnis bei dem langjährigen Arbeitgeber? Und was macht dieser Unhold dann noch? Er gibt ihr im kurzen Gespräch locker zu verstehen, dass sie auch ihre Papiere haben könne und so frei sei jederzeit zu gehen.
Wäre sie seine verruchte Komplizin gewesen, die auf seine Anweisungen hin für ihn tagtäglich Abrechnungsbetrug begangen hätte, wie es den Anschein haben soll, dann hätte Janzen die scheinbar unverzichtbare Arbeitskraft nach den Regeln eines gewerbsmäßigen Betrügers mit hoher krimineller Energie buchstäblich um jeden Preis halten müssen. Die Gehaltserhöhung wäre dabei das geringere Übel gewesen, vielmehr der Komponentenkleber für eine weitere Abhängigkeit.
Zu tot gibt's noch eine Steigerung - die Beweiskraft eines Blankoscheins
Doch es geht an diesem Tag noch makaberer zu. Auftritt Osterwald, der Arztkollege aus Wallensen. Osterwald hat die ganze Sache ins Rollen gebracht, wie der Staatsanwalt mal in einer Kaffeepause bemerkt hat. Das Papier, das der Zeuge Osterwald an diesem 28. Verhandlungstag in der Hand hält, ist ein Vertreterschein. Zwei Vertreterscheine hat er den Ermittlungsbehörden schon ausgehändigt. Jetzt hält er also den dritten in Händen. Osterwald will dem Gericht ja nichts vorenthalten. Der Schein zittert bedenklich und fortwährend, weil die Hände im Zeugenstand eben zittern. Ein reflexhafter Schub des Angriffs- oder Fluchthormones Adrenalin? Osterwald hält die drei Vertreterscheine für bedeutsam. Denn dahinter stehen die Namen von drei Patienten, die zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht mehr gelebt haben.
Scheine, die ihm von Janzen in die Hände geraten sind, als sich der routinemäßig diese Vertreterscheine von seiner Praxismitarbeiterin ausdrucken ließ um sich auf eine Vertretungsaufgabe für den Kollegen in Wallensen vorzubereiten. Der Vorgang war im Jahre 2001 – ein Zeitraum, der gar nicht zur Ermittlungszeitspanne gehört und zu dem auch noch nicht die spätere Gemeinschaftspraxis Janzen/Osterwald bestanden hat. Sollte Janzen damals Tote „behandelt“ und abgerechnet haben. Zuerst zwei – und jetzt, ausweislich des mit zittriger Hand übergebenen Scheines, auch drei? Osterwald misst der Existenz dieser Scheine, die ihm in die Hände gefallen sind und jetzt noch ein Zittern verursachen, große Bedeutung bei. So groß, dass er sie knapp zehn Jahre lang sorgsam aufgehoben hat – aus einer Zeit, als seinem Kollegen Janzen noch gar nichts vorgeworfen wurde.
Die Ärzteschaft in Salzhemmendorf scheint ein Haifischbecken zu sein
Unweigerlich ergibt sich die Frage, weshalb und mit welcher Absicht bewahrt ein Arztkollege solche Scheine so lange auf? Warum klärt er den Sachverhalt nicht gleich? Ist die Ärzteschaft im Raum Salzhemmendorf - zehn Mediziner an der Zahl - ein solches Haifischbecken? Die Entzauberung der mysteriösen Dokumente findet umgehend und vor Gericht statt. Was Osterwald auch selbst sehen konnte und musste: Auf den Scheinen steht nur als Blankovordruck der Patientenname. Kein Befund, kein Behandlungshinweis, kein Abrechnungsvermerk. Nichts. Der Richter bekommt das Nichts gereicht und liest das Nichts öffentlich vor, damit allseits Gewissheit besteht, dass ein nicht ausgefüllter Schein als solcher zu den Akten gereicht wurde. Auch die Schöffen überzeugen sich von der Jungfräulichkeit des Dokumentes.
Janzen sagt, er habe keinen der Scheine der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zur Abrechnung eingereicht. Allein das hätte eine Betrugshandlung vorausgesetzt. Es sind auch keine Toten behandelt worden. Die KV hat auch keine Toten verrechnet. Die Scheine seien bei dem Routinevorgang des Ausdruckens mit durchgerutscht, was bei der Masse schon mal vorkommen könne.
Die Toten sind nicht sein Fach. Er kümmert sich um die Lebenden
Die Toten sind nicht sein Fach. Er kümmert sich um die Lebenden. Und dass er ein Kümmerer ist, einer der nachts zum Arztköfferchen greift, Weihnachten, Ostern, Karneval und bei Wind und Wetter auf der Matte steht, mit seinem Geländewagen durch den Matsch entlegener Gehöfte pflügt, konnte auch am 28. Verhandlungstag niemand bestreiten. Auch und vor allem die inzwischen mehr als hundert vorgeladenen Patienten nicht. Der Richter kann die spontanen Zufriedenheitsbekundungen der Patienten im Zeugenstand schon nicht mehr hören.
So entpuppen sich also die drei schwerwiegend erscheinenden Verdachtsfälle, im Zustand unterdrückter Erregung von einem Kollegen vorgelegt, von der Staatsanwalt bedeutsam zu den Akten gereicht, als eine Art von Karteileichen. Tot seit zehn Jahren, wiederauferstanden am 28. Verhandlungstag – und von der Verteidigung unter allseitiger Anteilnahme endgültig zu Grabe getragen.
Beam me up, Scotty!
Bilanz des Tages: Drei Tote, ein toter Computer, die von schimmernden Tränen begleitete Beisetzung eines massiven Betrugsvorwurfes und die Gewissheit, dass damit noch nicht der tote Punkt dieses Verfahrens erreicht wird.
Jenseits von Raum, Zeit und Prozesskosten in bald sechsstelliger Höhe schwebt das Raumschiff Enterprise (enterprising = erfindungsreich) mit seinem Vorsitzenden Captain Braumann durch die unendlichen Weiten des Gramse-Kosmos im Sternbild Waage. Man schreibt den 28. Verhandlungstag im Logbuch der Wirtschaftsstrafkammer, Saal 137.
Beam me up, Scotty!