Letzter Atommeiler in Niedersachsen geht vom Netz
Jetzt wird im AKW Lingen die Turbine kaltgefahren
Samstag 15. April 2023 – Hannover (wbn). Der letzte niedersächsische Atommeiler geht am heutigen Sonnabend endgültig vom Netz.
„Damit wird der schon vor vielen Jahren beschlossene Atomausstieg jetzt auch faktisch vollzogen", so Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Christian Meyer.
Nach derzeitigem Kenntnisstand und Abstimmung mit dem Lastverteiler wird am Abend damit begonnen, die Leistung der Atomanlage im Emsland um 10 MW pro Minute abzusenken und die Turbine kaltgefahren. Anschließend wird von Hand die Turbinenschnellabschaltung (TUSA) vorgenommen und die Anlage endgültig vom Netz getrennt. Wenn die Anlage den Zustand „unterkritisch heiß" erreicht hat, wird vor 24 Uhr die Reaktorschnellabschaltung (RESA) von Hand ausgelöst werden. Die genaue Uhrzeit bestimmt die Betreiberin des AKW.
Daran schließen sich Anlagenbegehungen im Reaktorgebäude und das weitere Kaltfahren der Anlage über die Frischdampfumleitstation an, so dass bis zum 16. April gegen Mittag etwa 50°C und 15 bar im Primärkreis der Anlage erreicht sind. Es folgen Arbeiten und Prüfungen, die auch zu jedem Brennelementwechsel üblich waren, so dass am 19. April das Abnehmen des Deckels des Reaktordruckbehälters (RDB) vorgesehen ist.
Am Montag, dem 24. April, soll mit dem Entladen der Brennelemente aus dem Reaktordruckbehälter begonnen werden. Die Anlage so zu belassen, dass sie doch wieder in Betrieb genommen werden kann, kommt für Minister Meyer nicht in Frage: „Der Atomausstieg ist beschlossen und endgültig, es wird keine Laufzeitverlängerung geben. Debatten darüber, oder ob ein AKW als Reserve weiterhin zur Verfügung stehen könnte, lehnen wir konsequent ab. Und da es keine neuen Brennelemente geben wird, ist ein Weiterbetrieb ohnehin nicht möglich." Der Rückbau des AKW Emsland sei beantragt und werde nach den geltenden Bestimmungen jetzt schnellstmöglich vollzogen.
Zur Vollendung des Atomausstiegs macht sich das Land außerdem dafür stark, auch die Brennelementeproduktion in Lingen zu beenden. Vor allem setze sich das Land gemäß Koalitionsvertrag beim Bund dafür ein, dass grundsätzlich kein Uran aus Russland mehr an die Brennelementefabrik in Lingen geliefert wird: „Geschäfte mit Putin sollten beendet werden, das gilt auch und gerade für den Atombereich", so Minister Meyer. „Die Urangeschäfte Russlands mit Lingen zeigen die hohe Abhängigkeit der europäischen Atomindustrie von Putins Russland. Dies durch Joint-Ventures, direkte oder indirekte Beteiligungen Russlands zu verfestigen, halte ich politisch angesichts Putins brutalem Energiekrieg gegen Europa für fatal. Es kann nicht sein, dass in Deutschland die letzten Atommeiler abgeschaltet werden, aber hier weiter Brennelemente produziert werden. Der beschlossene Atomausstieg muss jetzt auf allen Ebenen auch konsequent durchgezogen werden." Zu dem vom Betreiber ANF gestellten Antrag auf Fertigung von hexagonalen Brennelementen für osteuropäische Reaktoren russischen Typs wird vom Umweltministerium ein Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung eingeleitet.
Am ehemaligen AKW-Standort im Emsland schaue Niedersachsen nun aber hoffnungsvoll nach vorne. „Lingen wird zum Zentrum für grünen Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien ausgebaut. Wir lassen das Atomzeitalter endlich hinter uns und stecken unsere gesamte Energie in den Ausbau der Erneuerbaren", so Meyer. „Und ich freue mich sehr, dass wir das hier zusammen mit der Betreiberin des ehemaligen AKW tun." In Lingen entsteht ein großes Wasserstoffzentrum, von RWE und mit Unterstützung des Landes wird in die Großproduktion und Speicherung von grünem Wasserstoff investiert.
Bund und Land fördern am Standort Lingen eines der größten Wasserstoffprojekte der Welt mit 150,9 Millionen Euro für die RWE Hydrogen Lingen GmbH. Dazu wird eine Elektrolyseleistung von rund 300 MW geplant, die aus überschüssigem Wind- und Sonnenstrom in Zukunft grünen Wasserstoff herstellen soll. Für die Erzeugung grünen Wasserstoffs aus Erneuerbaren Energien ist geplant, auch das bisherige Speicherbecken zur AKW-Kühlung für die Herstellung des Erneuerbaren Wasserstoffs zu benutzen. „Diese Investitionen sind ein gutes und deutliches Signal", so Umwelt- und Energieminister Meyer: „Die Zukunft in Niedersachsen gehört den Erneuerbaren Energien."