Der Leitartikel
"Razzia" stammt aus dem arabischen Sprachraum und meint - Rache!
Von Ralph L o r e n z
Es sind drei präzise Fragen. Aber sie legen den Finger genau auf die Wunde der Vorgehensweise der Osnabrücker Staatsanwaltschaft.
Es geht um die spektakulär wenige Tage vor der Bundestagswahl angezettelte Razzia im Hause des Bundesfinanzministers Olaf Scholz (SPD). Der niedersächsische Landtagsabgeordnete Wiard Siebels (SPD) will in seiner „Kleinen Anfrage zur kurzfristigen schriftlichen Beantwortung“ an den Niedersächsischen Landtag Folgendes wissen:
1. Weshalb wurden das Bundesministerium der Finanzen sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz seitens der Staatsanwaltschaft Osnabrück im Vorfeld der Durchsuchung am 9.9.2021 nicht auf dem regulären Dienstweg dazu aufgefordert, Unterlagen zum Zwecke der Ermittlung zur Verfügung zu stellen?
2. Wer hat - mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes - entschieden, eine Durchsuchung ohne vorheriges behördliches Auskunftsersuchen durchzuführen?
3. Wie erklärt sich die Zeitspanne zwischen dem mutmaßlichen Vorliegen des Durchsuchungsbeschlusses vom 10.8.2021 (laut Presseberichterstattung) und der Durchführung der Durchsuchung am 9.9.2021?“
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Formal gehen diese drei Anfragen an die Landesregierung in Niedersachsen, eigentlicher Empfänger ist aber das Ressort der Niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza. Und die ist CDU.
Wie auch Bernard Südbeck, Chef der Osnabrücker Staatsanwaltschaft, CDU-Mitglied ist. Aber er hat auch schon den CDU-Stadtverband Cloppenburg geführt.
Staatsanwälte wiederum sind in Deutschland weisungsgebunden, unterstehen der Ministerin oder dem Minister ihrer Justizbehörde. Sie sind also nicht die „objektivste Behörde der Welt“, was in der Lyrik von Sonntagsreden gern bemüht wird, woran sich überdies auch der Europäische Gerichtshof stößt. Ein politisch gebundenes Amt also, was aber immer noch ein offenes Geheimnis ist.
CDU-Justizministerin Barbara Havliza hat im August mit dem „Spiegel“-Magazin über schwere Versäumnisse beim Kampf gegen die Geldwäsche gesprochen. Im August auch, genauer gesagt am 6. August, ist der Durchsuchungsbeschluss gegen das Bundesfinanzministerium initiiert worden. Beim Amtsgericht in Osnabrück. Razzia, das klingt im Medien-Sprech besonders dramatisch. Da muss dringender Handlungsbedarf bestehen, etwa wegen Gefahr in Verzug.
Doch was ist wirklich geschehen? Die ermittelnde Staatsanwältin in Osnabrück ist nach ihrem eiligen Durchsuchungsbeschluss tatsächlich erstmal entspannt in Urlaub gegangen. Gefahr in Verzug geht anders. Die einzige wirkliche Gefahr bestand und besteht in dem herannahenden Wahltermin mit naturgemäß entsprechendem Irritationspotenzial bei solch einer schlagzeilenträchtigen Maßnahme. Gefahr für die Demokratie.
Das klingt schon heftig nach Drehbuch, nach politischer Inszenierung.
Es gibt noch Dringlicheres als einen Durchsuchungsbeschluss - der eigene Urlaub!
Zwischendurch wurde im August auch ein weiteres Ministerium, nämlich das Bundesjustizministerium in die „Razzia“ einbezogen, das ebenfalls nicht unter CDU-Ministerleitung steht, sondern mit Christine Lambrecht einer Politikerin der SPD. Ein einfacher Amtsrichter in der CDU-Hochburg Osnabrück, der gleich zwei Razzien (!) in zwei SPD-geführten Bundesministerien abnickt, ohne dass – siehe Urlaubspause der Staatsanwältin – glaubwürdig eine Dringlichkeit vorgebracht werden kann? Dabei stellt sich auch die Frage: Warum nicht gleich drei Ministerien? Das des fachlich nahestehenden Bundesinnenministers. Doch der ist diesmal nicht in der SPD.
Trotz allem sieht der Osnabrücker Amtsrichter offenbar noch die Verhältnismässigkeit der Mittel gewahrt. Ohne die er den Durchsuchungsbeschluss wohlgemerkt gar nicht erlassen darf!
Und das alles obwohl die mit der Razzia behelligten Ministerien im Vorfeld eindeutig ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Auskunft signalisiert hatten?
Die üblichen Bilder von Razzien zeigen Ermittler mit zahlreichen Hiwis, die stundenlang Akten aus dem Durchsuchungsobjekt schleppen und in Kleintransportern abtransportieren.
Doch nicht, wenn nichts zu beschlagnahmen ist. Wie jetzt in den Bundesministerien am vergangenen Donnerstag geschehen.
Kein Wunder: Es handelte sich allesamt um elektronische Akten, die auf Knopfdruck jederzeit und ohne Voranmeldung aus Osnabrück seitens der ermittelnden Staatsanwaltschaft bequem am Schreibtisch einsehbar sind! Gefahr in Verzug? Gefahr wegen Manipulation? Fehlanzeige! Diese Daten im Bundesfinanzministerium sind nachweislich nicht veränderbar.
Ob nun ein Staatsanwalt an seinem Schreibtisch in Osnabrück auf den Schirm schaut oder im Bundesministerium in Berlin, oder die Justizministerin in Hannover – da tut sich nichts. Die Süddeutsche Zeitung vermerkt lakonisch in einem Bericht: „Gegen 15.30 Uhr verlassen die Staatsanwälte das Ministerium, auf ihr Bitten hin durch einen Seitenausgang. Sie nehmen nichts mit.“ Ohne dickes Aktenmaterial zum Hauptausgang rauszukommen, wo schon die Medien warten, wäre möglicherweise das unerwünschte Signal gewesen. Nichts gewesen außer Spesen.
Ging es also nur um die Show einer Razzia im Hause des Kanzlerkandidaten der SPD Olaf Scholz, nur drei Tage vor der Kommunalwahl und wenige Tage vor der Bundestagswahl? In großer Pose durch das Hauptportal reinstürmen, kleinlaut durch den Hinterausgang wieder abziehen?
Ach ja. Das Wort „Razzia“ stammt aus der arabischen Sprache. Es umschreibt den Angriff und Raubzug eines feindlichen Stammes. Aus Rache!
Das Jahr hat 365 Tage - aber nur einen Wahlmonat
Das Jahr hat 365 Tage. Die Ermittlungen im zugrunde liegenden Fall dauern überdies schon einige Jahre. Warum sucht sich dann eine Ermittlungsbehörde in der Terminplanung genau einen Tag auf der Ziellinie jener dramatischen Entscheidungsphase aus, in der die Wahlbürger über die Bürgermeister, Gemeinderäte und einen Kanzler beziehungsweise eine Kanzlerin abstimmen müssen?
Und taugt der ganze Vorgang überhaupt zum Scholz-Bashing? Denn darauf läuft es ja hinaus.
Wohlgemerkt: Es geht nicht um Ermittlungen gegen die Leitung des Ministeriums und damit gegen Olaf Scholz sondern um Ermittlungen wegen Strafvereitelung im Amt gegen unbekannte Mitarbeiter der Financial Intelligence Unit (FIU) in Köln, die organisatorisch bei der Bundeszollverwaltung angegliedert ist. Letztere Auslagerung aus dem Bundeskriminalamt nach Köln hat sie zahnlos und zum Gespött gemacht. Doch unter wessen Ägide ist dieser Umzug einst erfolgt?
Der Mann, der damals alle Warnungen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter und anderer Experten in den Wind geschlagen hat, war der Amtsvorgänger von Olaf Scholz: Wolfgang Schäuble. CDU. Mit dieser unbestrittenen Fehlentscheidung hat er die Ermittlungsarbeit in Sachen Geldwäsche faktisch strukturell verschlechtert, hat sie ohne angemessene Zugriffsmöglichkeit auf polizeiliche Daten und auch personell in jeder Beziehung miserabel ausgestattet. Also sogar noch schlechter gestellt.
Über den zugrundeliegenden Masterplan des damaligen Bundesfinanzministers lässt sich nur spekulieren.
Lächerliche 160 Mann sollten die Geldwäsche-Verdachtsfälle unter Schäuble beim Zoll in Köln abarbeiten, waren für die ganz speziellen Aufgaben auch nicht alle ausgebildet. Also eher eine Financial Un-Intelligence Unit.
Scholz hingegen hat die Einheit erstmal auf 500 Mann aufgestockt, will sie weiter auf 700 erhöhen und hat auch sonst nachgebessert. Bei der IT zum Beispiel.
So sieht eher Strafermittlungs-Beschleunigung im Amt aus. Der Kanzlerkandidat Olaf Scholz steht unter dringendem Anfangsverdacht eines ersten Erfolgsansatzes im Kampf gegen die Geldwäsche.