Eine Analyse der Abgrenzungs- und Abwertungs-Mechanismen in der Gesellschaft
Wo kommt dieser mörderische Hass her? Eine Autorin geht in ihrem Buch dieser Frage nach
Donnerstag 10. Oktober 2019 - Gütersloh / Börry (wbn). Zwei Tote, mehrere Verletzte: Der antisemitische Anschlag von Halle versetzt Deutschland in einen Schockzustand. Woher kommt dieser Hass? Genau mit diesem Thema hat sich Autorin Anne Otto in ihrem Buch beschäftigt.
Es ist aufgrund der Ereignisse von gestern auf schreckliche Weise noch aktueller geworden. Denn neben politischen und gesellschaftlichen Gründen gibt es psychische Mechanismen, die eine rechtspopulistische Einstellung wahrscheinlicher machen.
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Anne Ottos Thesen:
Ständiges Bewerten führt auch zum Abwerten.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen einander permanent bewerten – das reicht von ständiger Begutachtung von Kandidaten in TV-Formaten bis zur Aufwertung der eigenen „gebildeten“ Gruppe gegenüber „Ostdeutschen“ oder „Ungebildeten“. Hier gedeiht ein Boden für Abgrenzungs- und Abwertungs-Mechanismen, die bis zu einem bestimmten Punkt menschlich sind – aber nur dann unbedenklich bleiben, wenn man noch mitbekommt, dass man andere benutzt, um sich selbst gut und selbstbewusst zu fühlen. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hierzulande auch handfeste Rassisten und Menschenfeinde gibt – die glauben, das Recht zu haben, andere für weniger wertvolle Menschen zu halten. Studien sagen, dass bis zu 20 Prozent der Bevölkerung einer „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ zustimmen, also verschiedenste Minderheiten kategorisch und willkürlich ablehnen.
Zu viele Gefühle machen uns kopflos.
Ein toxisches Gebräu aus Wut, Panik, Empörung und Verschwörungstheorien feuert den aktuellen Rechtsruck an. Hass und Wut sind bei vielen Rechten dominant. Viele AfD-Wähler fühlen sich darüber hinaus erwiesenermaßen ohnmächtig und benachteiligt – diese Gefühle sind aber oft subjektiv, stimmen nicht unbedingt mit der Lebenssituation/sozioökonomischen Situation überein. Psychologen gehen davon aus, dass diese Menschen auf „Ohnmacht“ gepolt sind – und sich radikalisieren, um Angst abzuwehren und vermeintlich die Kontrolle über die Situation zu behalten. Außerdem wichtig: Wir alle sind heute anfälliger für Empörungsreflexe. Die überhitzte Stimmung macht kopflos – und spielt Rechtspopulisten in die Hände.
Die Wurzeln rechtsextremer Einstellungen liegen in der Psyche.
Nicht Einkommen, Status, Alter, Wohnort und/oder Geschlecht sagen voraus, ob jemand rechtspopulistischen Ideen zustimmt. Entscheidend ist primär ein psychologischer Faktor: Ob die Person autoritär eingestellt ist oder nicht. Wer autoritär tickt, teilt beispielsweise andere Menschen danach ein, ob sie schwächer sind und man ihnen gegenüber aggressiv und abwertend sein „darf“. Oder ob sie stärker und autoritärer sind und man ihnen deshalb gehorsam und angepasst begegnet – und von ihnen Führung erhofft. Die autoritäre Einstellung ist bis heute weit verbreitet und verträgt sich zum Beispiel nur schlecht mit Empathie/Mitgefühl gegenüber Schwächeren wie Geflüchteten.
Die Taschenspielertricks der Populisten sind leicht zu durchschauen.
Populistische Politiker benutzen in ihren Argumentationen rhetorische und emotionale Tricks, die schon immer von Agitatoren verwenden wurden. Wichtig sind zum einen Feindbilder, die aktiv gefördert werden. Der Hass auf äußere Feinde (beispielsweise Geflüchtete) und innere Feinde (zum Beispiel Eliten) wird nicht nur geschürt, sondern zum Teil aus dem Nichts geschaffen. Dazu kommen als weitere Stilmittel hemdsärmelige Beleidigungen politischer Gegner oder „fremder“ Gruppen sowie emotional negativ aufgeladene Sprachbilder, zum Beispiel „Flüchtlingswelle“. Besonders perfide ist die Einführung von rechtsextremem Vokabular in normale Debatten, etwa Wörter wie „Lügenpresse“: Dieser Begriff wurde in der NS-Zeit verwendet und war nie reine Medienkritik, sondern hatte immer auch einen antisemitischen Beiklang.
Wann es lohnt, mit Rechten zu reden.
Politische Diskussionen im privaten Umfeld, mit Freunden, Bekannten und Verwandten machen viel Sinn. Wichtig ist, dass man bestimmte Gesprächsregeln einhält. Manche Experten in Sachen politischer Bildung nennen als wichtige Haltung die „radikale Höflichkeit“ – man bleibt ruhig und höflich den Menschen gegenüber und diskutiert in der Sache konsequent und klar. So kann man zumindest Verunsicherte oft wieder „zurückgewinnen“. Menschenfeindliche Aussagen braucht man ohnehin nicht einfach so stehenzulassen – hier hilft es, sich abzugrenzen und anderen die rote Karte zu zeigen.
Selbstreflexion und der Blick nach innen helfen.
Steckt in jedem von uns ein kleiner Rechter? So extrem ist es vielleicht nicht. Doch hilft es durchaus, mit Hilfe von Selbstreflexion und/ oder einem Blick in die eigene Familiengeschichte herauszufinden, an welchen Stellen man selbst autoritär, abwertend, rassistisch oder unbewusst loyal mit „Rechten“ ist. Das hilft nicht nur, sich selbst besser zu verstehen – man wird auch selbstbewusster, klarer und mitfühlender im Kontakt mit anderen.
Woher kommt der Hass?
Die psychologischen Ursachen von Rechtsruck und Rassismus
ISBN: 978-3-579-01486-9
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