Der Leitartikel
Eine Sendung, bei der ein Vater seinen Sohn über den Haufen fährt. Wetten, dass ... - Gottschalk so nicht mehr weitermachen kann?
Von Ralph L o r e n z
„Was für ein Gefühl muss das für einen Vater sein, wenn ihm sein eigener Sohn vors Auto läuft.“ Ein typischer Gottschalk-Satz. Thomas Gottschalk hat in der Show-Anmoderation nichts ausgelassen. Er hat den „Nervenkitzel“ ausgelotet. Und wurde brutal in die Realität geholt. „Au,au,au, au“, hört man ihn, als Samuel, der Wettkandidat (23) reglos am Boden liegen bleibt. Wie eine Puppe wurde Wettkandidat Samuel Koch, Student aus Hannover, hochgeschleudert, von dem Angeberstatus-Fahrzeug unserer Zeit, einem Audi A 8. Am Lenkrad der Vater, am Boden der Sohn.
Dann hat die Kamera einen Verlegenheits-Schwenk gemacht. Mit dem vierten Sprungfeder-Sprung ist Samuel live dem Tod über die Schippe gesprungen, liegt jetzt im künstlichen Koma, bedroht von lebenslanger Lähmung und Verstümmelung. Gottschalk hat seine quotenfördernde Sensation – aber so hat er sie nicht gewollt. Das ZDF hat unfreiwillig bewiesen was wirklich „live“ ist. Dass es auch etwas mit „life“ zu tun hat. Dem Leben. Gottschalk hat die Sendung abgebrochen. Der aus der Sendung katapultierte Wett-Kandidat hat davon nichts mehr mitgekriegt.
Genau so war es auch im alten Rom
Fortsetzung von Seite 1
Man sieht, wie die Zuschauer aufgesprungen sind. Auf der VIP-Bank halten sich die Damen die Hände vor den Mund. So muss es auch gewesen sein, als im „alten Rom“ die Gladiatoren in ihrem Blut am Boden lagen.
Nach einer Raubtierattacke. Nach dem ins Mark treffenden Speerstoß eines Gegners. Thomas Gottschalk und „Wetten dass…“ haben endgültig ihre Unschuld verloren. Ihre Spaßgesellschaft-Unschuld, dass im Zweifelsfall alle wieder aufgestanden sind. Wetten, dass? Dass es nur ein Spiel war und bei guter Quote eben Kasse gemacht wurde. Mit dem Sender. Mit den Kandidaten. Mit den Sponsoren und ihrem unverschämt-heimlichen Produkt-Placement, das es angeblich nicht gab. Ohne den Schmierstoff der eitlen Markenwelt scheint es trotz horrender TV-Gebühren im öffentlich-rechtlichen Medienzirkus aber nicht mehr zu gehen.
Die Tränen der Gottschalk Co-Moderatorin im Anblick der unfassbaren, aber leicht vorhersehbaren Situation mögen echt gewesen sein. Männer können sowas nicht, sie können nicht gleich weinen. Da ist ihre Beherrschung vor. Sie sind immer nur "den Tränen nah". Gottschalk hat in den Medien einen letzten großen Beifall für diese Sendung bekommen: Dafür, dass er sie nach einer halben Stunde Ratlosigkeit abgebrochen hat. Er sei doch nicht der abgebrühte Hund, wurde er in den Medien gelobt.
Der Tod als stiller Unglücks-Joker in einer Samstagabend-Unterhaltung?
Aber mal ehrlich: Wie abgebrüht muss einer eigentlich sein, wenn er für einen Samstagabend-Quotenhit den Tod als drohenden Begleiter akzeptiert? Als stillen Unglücks-Joker in einer „live“-Sendung? Ein böser Dramatik-Joker, der in das Showgeschehen einfallen kann - oder auch nicht. Genau das hat Gottschalk gemacht. Entschuldige Thomas, aber es ist so!
Ist es zu hart, das so zu deutlich auszusprechen, wo doch die Fernsehschaffenden jetzt kollektiv in ihre weichen Taschentücher hineinschnäuzen? Und sich alle einig sind, dass jetzt in dieser Situation nicht auch noch Kritik an den Fernsehmachern geübt werden sollte?
Nein! Es ist an der Zeit Klartext zu sprechen: Das Geschehene ist aus niederen Beweggründen billigend in Kauf genommen worden. Die berechenbaren Gesetze der Physik bestimmen die Regeln. Gnadenlos! Und nicht etwa die Regie mit ihren aufgeregten Assistenten, die mit Headset durch die Kulissen wuseln als scheinbare Herren des Geschehens. Auch nicht der Herr Gottschalk bestimmt die Regeln der Physik, der sonst das Publikum und sich selbst immer so selbstverliebt im Griff hat.
Es war abzusehen, dass der Audi-Koloss nicht an dem Kandidaten zerschellt
Diese Gesetze der Physik besagen, dass es eine berechenbar tödliche Prognose gibt für den Fall, in dem ein Wesen aus Fleisch und Blut frontal auf einen beschleunigenden tonnenschweren PS-Koloss zuläuft. Es wird mit Sicherheit nicht so sein, dass der Stahlkoloss an dem Kandidaten zerschellen wird und man um das Leben des angeschnallten Fahrers am Audi-Steuer bangen muss.
Man hört auf you tube das trockene Geräusch, das der Körper im Aufschlagkontakt mit dem Autodach macht. Ein „Dummie“-Effekt, tausendmal in Verkehrssicherheitssendungen gesehen. Nur, dass es eben kein Dummie ist. Sondern Hobby-Stuntman Samuel, der an der Hochschule in Hannover „Theater und Medien“ studiert hat und dennoch dem Publikumsrausch aus Geltungsgeilheit unterlegen ist.
Hat sein Vater, eingebettet und abgeschottet in dieser komfortablen Luxuslimousinen-Wohlfühlatmosphäre mit Zweizonen-Klimatisierung, eigentlich verstanden, auf wen er da zufährt? Dass es nämlich ein Mensch - und dazu noch sein eigener Sohn ist?
Das Undenkbare war mit der Regie so abgesprochen - ein Vater fährt auf seinen Sohn los
Das ist wohlgemerkt die Albtraumsituation, in die ein Vater in Wirklichkeit nie hineingeraten will. Er hat dennoch das Undenkbare gemacht, denn: Das war ja mit der "Regie" so abgesprochen. Nur nicht mit dem lieben Gott.
Nach dem Ereignis, das sich nur widerstrebend in die Kategorie Unfall einordnen lässt, weil es sich letztlich um eine gewollte Situation handelte, hat es die üblichen Betroffenheitsrituale gegeben. Tränen. Stummes Zusammenstehen. Anteilnahme-Gesten. Warten auf irgendwelche Nachrichten, als ob da einer die Oberregie führen würde. Pressekonferenz in Moll. Wenn ein Mensch viermal auf ein entgegenkommendes Auto zuläuft und sich dabei von einem Millionenpublikum begaffen lassen will, dann kann es ihn schon beim ersten Mal erwischen. Denn anders als in der Werbung läuft kein „Immerdaaa, immernaaah“-Engel nebenher. Hier war es das vierte Mal in Folge, da das Glück herausgefordert wurde. In der "Probe" hat angeblich alles geklappt. Es gibt aber kein Leben auf Probe. Es gibt nur das eine.
Der Veranstalter ist nicht aus der Verantwortung, wenn der Kandidat sich des Risikos bewusst ist und irgendwas unterschreibt
Wetten dass… jeder, der über diesen denkbar höchsten Einsatz, nämlich den Einsatz des Lebens bei - lediglich einer Spasswette - nachdenkt, zwingend zu dem Ergebnis kommt, dass diese Art der Unterhaltung die Grenzen des Vertretbaren überschreitet? Der Kandidat sei sich des Risikos bewusst gewesen, heißt es. Mag sein, dass es auch schriftlich zu Protokoll gegeben worden ist. Doch damit ist der Veranstalter nicht aus der Verantwortung. Nur so aus Spaß das Leben aufs Spiel zu setzen, verbietet sich von selbst.
Das Verhalten des ZDF ist geradezu sittenwidrig und menschenverachtend, wenn es eine Fernsehunterhaltung zulässt, bei der die Wahrscheinlichkeit einkalkuliert wird, dass ein Mensch medienwirksam zu Tode kommt – auf eigene Rechnung, gewissermaßen. Was geschieht dann in späteren Sendungen als Steigerung? Wird die Todesrate zur Schwester der Einschaltquote?
Der nächst größere Hype wäre das Casting von Todeskandidaten
Menschen, die um jeden Preis ihren Kopf riskieren, gibt es zuhauf. Und es gibt einfach nur Bekloppte, die man vor sich selbst schützen muss. An "Material" für Unglückskandidaten wäre kein Mangel. Schon das Casting der Todeskandidaten wäre ein Hype. Das öffentlich-unrechtliche Fernsehen hätte einen weiteren Schritt auf dem Weg seiner Verrohung markiert, im makaberen Wettlauf mit den "Privaten".
Es gibt noch eine andere Ungeheuerlichkeit in diesem Zusammenhang des unsäglichen Gottschalk-Abends. Der Mediendienst „Meedia“ schreibt heute in seinem Newsletter zu dem Desaster unter anderem: „Der Unfall des 23-jährigen Studenten Samuel Koch passierte beim Überspringen einer Limousine von Audi. Mit exakt diesem Hersteller hat das ZDF und / oder Thomas Gottschalk möglicherweise einen gut dotierten Vermarktungsvertrag...“
Und dann heißt es weiter: „Schon im September hatte das Branchenmagazin Journalist über die übermäßige werbliche Präsenz der Ingoldstädter beim ZDF-Quotenriesen berichtet und enthüllt, dass die Kooperation mit Audi der Show für zwei Staffeln insgesamt 1,8 Millionen Euro in die Produktionskassen spüle. Zudem trat Thomas Gottschalk auch bei verschiedenen Events des Autobauers wahlweise als prominentes Zugpferd oder auch als Moderator auf. Abgewickelt worden seien die Geschäfte über die Firma Dolce Media. Deren Inhaber: Thomas Gottschalk und sein Bruder Christoph. Es ist davon auszugehen, dass das Presenting der Audi-Modelle vor einem Millionenpublikum nicht nur für das ZDF, sondern auch für den Moderator eine überaus einträgliche Zusammenarbeit darstellt.“
War es Zufall, dass sich die Audis in Szene setzen durften?
Wenn der Kandidat schon hätte über fünf Wagen springen wollen mit seiner phänomenalen Sprunghilfe, dann hätte er ja auch über fünf entsprechend groß dimensionierte Mistkarren mit dampfendem niedersächsischem Schweinemist jumpen können. Da wäre er beim vierten Mal einfach nur im Schmodder gelandet und vor einem lachenden Publikum wieder aufgestanden. Aber für profane Mistkarren gibt es nunmal keine 1,8 Millionen Sponsorgelder, den Schmierstoff für den Medienhype.
Eine Menschenrechts-Organisation hat Strafantrag gegen Gottschalk und das ZDF gestellt
Heute hat der Vizepräsident des Menschenrechtsbundes in Hamburg, Wolfgang Schrammen, bei der Staatsanwaltschaft in Mainz einen Strafantrag gegen das ZDF und Entertainer Gottschalk gestellt. Es geht ihm zunächst mal um die Aufklärung des Sachverhaltes, wie er gegenüber den Weserbergland-Nachrichten.de betont hat. Er ist auch der Meinung, dass die Staatsanwaltschaft – egal wo in Deutschland – angesichts der vorhersehbaren Tragödie vor einem Millionenpublikum von Amts wegen und im öffentlichen Interesse von sich aus ermitteln müsse. Der Mann hat recht. Von einer Ermittlung von Amts wegen war aber bislang nichts zu hören. Saß in ganz Deutschland überhaupt kein Staatsanwalt vor dem TV-Gerät?
Wetten, dass… die Sache aber mit fadenscheiniger Begründung niedergeschlagen wird?