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Der Kommentar

Demokratie mit Darkroom? Der Glaubwürdigkeitsverfall der Piraten auf dem Landesparteitag in Wolfenbüttel

Von Ralph Lorenz

Für die Journalisten waren die Piraten bislang Everybody‘s Darling. Erfrischend anders,  kommunikativ, transparent und originell – so kamen sie rüber. Jetzt fallen sie durch dreiste Einschränkung der Berichterstattung auf.

Damit geht es ans Eingemachte unseres Demokratieverständnisses und der Pressefreiheit. Fernseh- und Bildreporter sollen auf einem - wohlgemerkt öffentlichen - Parteitag nicht alles beobachten können. Genau das aber ist doch ihr Auftrag! Sich ein umfassendes Bild machen zu können. In Wolfenbüttel auf dem Piratenparteitag hat es erstmals nach dem Willen der dortigen Delegierten eine „private Zone“ gegeben. Als Schlafzimmer der Demokratie?  Dort dürfen die Teilnehmer des Parteitages nicht am Laptop – also bei der Parteitags a r b e i t – gefilmt oder fotografiert werden. Das wird mit dem Schutz der Privatsphäre der Parteimitglieder begründet. Aber was, bitteschön gibt es da zu verheimlichen und zu schützen?  Und was ist auf einem Parteitag, der die Öffentlichkeit geradezu suchen muss und sich ihr gefälligst zu stellen hat, bitte schön privat?

 

 

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Ein bereits öffentlich diskutierter Antrag etwa, der nochmals umgemodelt wird? Gerade das sollte doch öffentlich über die Bühne gehen – genau das macht auch den Sinn eines Parteitages aus.

Oder könnte hier die Steuererklärung ins Blickfeld rücken, die mal eben neben der Parteitagsarbeit abgearbeitet wird? Oder darf niemand sehen wer mit wem auf facebook befreundet ist? Werden gar „heiße Fotos“ aufgerufen? Und lässt sich ein Laptop nicht auch mal zu klappen, wenn wirklich niemand sehen darf, dass während des Parteitags ein Computerspiel läuft und die Tierchen auf der Internetfarm gefüttert werden?

Nun könnte das alles als Skurrilität abgehakt werden, wenn da nicht ein verqueres Demokratiebewusstsein und Datenschutzverständnis durchschimmern würde. Oder ein Machtspiel. Klar, man kann alles mal versuchen.

Demokratie lebt vom offenen Visier

Auch die Grünen hatten ihre Sturm- und Drangzeit. Ihre großmäuligen Irrtümer machten sie einst sogar dafür berühmt. Was lassen sich die Piraten zur Einschränkung der Berichterstattung noch alles einfallen? Vorschlag: Man kann ein Drittel der Parteitagsfläche für Fotoreporter sperren, man kann eine weitere Fläche für Journalisten reservieren, die eine gewisse Gesinnungstreue beweisen. Gewissermaßen sind das dann „embedded Journalisten“ wie im Irak-Krieg (Bush lässt grüßen). Man kann eine andere Zone Journalisten vorbehalten, die als unbequem aufgefallen sind – so dass alle Delegierten rechtzeitig gewarnt sind. Als nächste Stufe könnten dann auch Armbinden ausgegeben werden. Oder andere Symbole an der Brust. Oder es könnten Redner ans Rednerpult treten, die sich hinter einer Maske verstecken. Vielleicht noch den Ton verfremden.

Von Selbstbewusstsein kündet das nicht. Demokratie lebt vom offenen Visier, setzt es konsequent voraus. Wer etwas zu verbergen hat, der erregt Verdacht. An Hinterzimmerpolitik hat Niedersachsen, hat die Welt keinen weiteren Bedarf. Es ist geradezu die Aufgabe des Journalisten auf einem öffentlichen Parteitag näher hinzuschauen. Abstimmungsverhalten zu dokumentieren und Entscheidungsprozesse transparent zu machen. Dies ist gewiss nicht immer leicht.

Ein Parteitag mit einer Scheuklappen-Hausordnung wie in Wolfenbüttel  ist für die Weserbergland-Nachrichten.de eine Zone, die sich von selbst verbietet. Als die Mainstream-Band Pur in Hameln war, haben die Weserbergland-Nachrichten.de über das Konzert nicht berichtet, weil unzumutbare Vorschriften und Auflagen gemacht wurden. Es sollte nur in den ersten Minuten fotografiert werden dürfen – dann, wenn die Band  sich von der Schokoladenseite zeigen und keinen Show-Stress anmerken lassen will. Die Bildreporter der Weserbergland-Nachrichten lassen sich keine Vorschriften machen. Und sie lassen sich schon gar nicht als Instrument für den Transport verlogener Bilder missbrauchen.

Wenn die Piraten selbst nicht so genau hingucken, müssen es andere für sie tun

Erst recht gilt dies für den Parteitag einer Partei, die den Anspruch erhebt unsere Demokratie um noch mehr Transparenz bereichern zu wollen. Diesen Rückschritt der Pressefreiheit, wie in Wolfenbüttel erlebt, werden wir auch bei den Piraten nicht mitmachen.  Vor allem wenn Piraten es auch noch fertig bringen einen Mann wie Carsten Schulz als Direktkandidaten für den Wahlkreis Hannover aufzustellen. Ein „Pirat“, der sich für die Straffreiheit von Holocaust-Leugnung eingesetzt haben soll. Dies ist dann auch von den niedersächsischen Piraten als Mega-Peinlichkeit erkannt worden.

Und auch hier gilt ein weiteres Mal: Gerade wenn Piraten nicht so genau hingucken was in ihren eigenen Reihen passiert, dann müssen es um so mehr die Vertreter der Medien machen. Es gibt viele Piraten, die wirklich nichts verbergen wollen und auch nichts zu verbergen haben.

Im Weserbergland flüchtet sich keiner von ihnen in einen Darkroom der Demokratie. Diese "Realos" konnten sich in Wolfenbüttel leider nicht durchsetzen. Auch sehr zum Entsetzen vieler Piraten in anderen Bundesländern, die diese unselige Reglementierung als Wahlkampf- und Sympathiekiller erkennen.

Die Schurkenregime dieser Welt werden aber diese neue niedersächsische Piraten-Informationskultur als Bereicherung ihrer Knebelungsinstrumente ansehen und aufmerksam diese Mischung aus Naivität, Unprofessionalität und Dreistigkeit verfolgen.

Vor allem aber werden sie beobachten, ob sich die freie Presse in einem freien Land das wirklich bieten lässt.

 

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