Im Sonnenuntergang packte er seine Siebensachen - Wie ein Landrat, Justiz und Polizei die Kuh vom Eis bringen wollten
Und tschüss... Der Vergewaltiger aus Freiburg hat in Thal endlich wieder "ausgecheckt" - Bad Pyrmont atmet erleichtert auf
Von Ralph L o r e n z
Bad Pyrmont (wbn). Und tschüss… Bad Pyrmont atmet auf. Der am Donnerstag vergangener Woche in Thal einquartierte Sexualstraftäter ist wieder weg. Gestern Abend hatte der nach 30 Jahren Haft in eine Pflegeeinrichtung im Bad Pyrmonter Ortsteil Thal verfrachtete Gewalttäter Hans-Peter W. (53) sein leichtes Reisegepäck eingesammelt und sich unter strenger Bewachung an einen unbekannten Ort verabschiedet.
Aus guten Gründen haben die Behörden diesmal nicht durchsickern lassen, welches die nächste Station der „Deutschlandreise“ des auf richterlichen Beschlusses freigelassenen Vergewaltigers sein wird. Jedenfalls ist er in ein anderes Bundesland gebracht worden. Die Weserbergland-Nachrichten.de hatten auch schon läuten hören, dass vorübergehend ein Ziel weiter nördlich im Gespräch gewesen sein soll. Einig waren sich jedenfalls viele Beobachter der Szene, dass ein bislang nicht öffentlich in Erscheinung getretenes privates Pflegeheim in Bad Pyrmont-Thal sich mit der Aufnahme des Problemfalles gewaltig verhoben hatte. Zu Lasten der ganzen Region. Fast schon zur Posse gerieten die verzweifelten Bemühungen, die Kuh vom Eis zu bringen und den ungebetenen Kurgast an einen anderen Ort zu entsorgen.
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Während gestern vormittag die Bad Pyrmonter Landtagsabgeordnete Ursula Körtner zutreffend in einem Gespräch mit den Weserbergland-Nachrichten.de prognostizierte, dass der Gewalttäter aus der Freiburger Justizvollzugsanstalt "Montag oder Dienstag" die ungeeignete Pflegeeinrichtung in Thal wieder verlassen werde, fand sich der Hameln-Pyrmonter Landrat Rüdiger Butte gegen 11 Uhr mit einer Expertenrunde zur Krisensitzung ein. Landrat Rüdiger Butte stöhnte: „Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Ich werde im Rahmen meiner politischen Verantwortung alles daran setzen, die größtmögliche Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.“
An Buttes Runden Tisch wurde die Quadratur des Kreises besprochen
Der Mann wusste zumindest wovon er spricht. Butte war mal über Jahre hinweg der Chef des Landeskriminalamtes in Niedersachsen und hatte die Brisanz der Situation schnell erkannt. Leider war auch er im Vorfeld nicht über die geradezu absurd erscheinende Abschiebung von Freiburg in das noble Staatsbad Pyrmont informiert worden. Der Landrat hätte dies wahrscheinlich zu verhindern gewusst. So brütete Butte am „Runden Tisch“ mit Vertretern der Polizei, des Justizministeriums und der kommunalen Behörden über die Möglichkeiten eine neue Bleibe für den Mann zu finden, der nach Gutachtermeinung als Sexualstraftäter weiterhin eine tickende Zeitbombe darstellt. Die Crux des ganzen Dilemmas: Der Mann durfte sich als freier Bürger fühlen. Er war von der Justiz in Freiburg nicht einmal mit entsprechenden Fürsorgeauflagen versehen worden und hatte zudem das Recht bei der Auswahl der nächsten Station auch einmal Nein zu sagen. Kurzum: Er war ein bescholtener, aber mündiger Bürger.
Die Nachbarn konnten kostenlos Triebtäter gucken - besser als jedes Privatfernsen
Der Abschied von Thal muss ihm allerdings nicht schwer gefallen sein. Unter dem schattigen Baum vor dem Pflegeheim, in dem wegen der Hitze Türen und Fenster sperrangelweit auf standen, lauerte mit laufendem Dieselmotor ein Zivilfahrzeug der Polizei. Vor dem Beifahrersitz lag die Anhalte-Kelle. Eine füllige, ältere Dame gegenüber hatte sich im Gartenstuhl mit verschränkten Armen zur Heimfront hin ausgerichtet „um Triebtäter zu gucken“. Das war bestes Prekariats-TV-Programm, kostenlos und live vor der Haustür. Und am Straßenrand lauerten dezent die Pressefotografen. Diese Belagerung hatte der 30 Jahre lang weggesperrte Triebtäter so nicht erwartet. Nervös kam er aus der Wohnung raus, ging wieder rein, verfluchte Presse, Polizei und Heimleitung. Bis zu 40 Polizisten sollen den Schwerverbrecher mehr oder weniger auffällig observiert haben. Die Kosten dafür haben sich pro Tag locker im fünfstelligen Bereich bewegt. Die Szenerie empörte Bürger und Politiker in Bad Pyrmont gleichermaßen.
Da konnte dem Landrat auch der Arzt nicht helfen...
Ausdruck von Ratlosigkeit und Verzweiflung war schließlich die Idee, den Mann in die psychiatrische Landesklinik Hildesheim zwangseinweisen zu lassen. Doch auf welcher rechtlichen Basis? Die sollte möglicherweise ein Amtsarzt verschaffen. Doch der kam bei seiner kurzen und objektiven Untersuchung zu einem Ergebnis, das den Entscheidungsträgern des Runden Tisches nicht weiterhalf. Hameln-Pyrmonts Landrat Rüdiger Butte ließ gestern Nachmittag mitteilen: „Das amtsärztliche Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Zwangseinweisung nach NPsychKG nicht vorliegen. Da die Einrichtung in Bad Pyrmont-Thal, in der sich der Ex-Häftling befindet, jedoch nicht die geeigneten Voraussetzungen für eine dauerhafte Unterbringung bietet, arbeitet ein Expertenteam unter Mitwirkung des Bewährungshelfers derzeit an einer adäquaten Alternativlösung außerhalb Thals. Der Betroffene selbst signalisiert im übrigen Mitwirkungsbereitschaft.“
Und eigentlich war er ja gar nicht in Bad Pyrmont
So packte der Mann in den blauen Jeans und dem braunen, verschwitzten Shirt noch im Sonnenuntergang seine Siebensachen. Der hagere Kerl mit dem schütteren Haar am Hinterkopf brach auf zum nächsten Ziel seiner Odysee durch das nach 30 Jahren Weggesperrtsein ihm völlig unbekannte und fremde, gewiss aber nicht freundlich gesinnte Deutschland des Jahres 2010. Die schönen und vornehmen Frauen von Bad Pyrmont und den Kurpark mit seinen romantischen Flirtecken, hat er dann doch nicht gesehen.
Er kennt nur die Pflegeeinrichtung mit der etwas verwaschen wirkenden blauen Fassade in Thal, die Nachbarn, die sich in ihrer Neugier sehen ließen und die ehrgeizige Heimleitung, die gestern den wohl teuersten und unsympathischsten Gast ihrer Firmengeschichte auf Nimmerwiedersehen verabschiedete. Bad Pyrmont selbst kann aber behaupten, dass der Sexgangster mit dem hohen Gewaltpotential nie wirklich da gewesen ist. Nicht im Wellness-Zentrum, nicht in den Promenaden.
Er hat nur mal von weitem am Parfüm dieser Stadt geschnuppert...