Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt
"Wichser, verpisst euch ihr Spastis, scheiß Bullen" - da rutschte einem Göttinger Polizisten beim dritten Nacht-Einsatz gegen den Ruhestörer die Hand aus
Montag 21. September 2020 - Holtensen / Göttingen (wbn). Musste er sich die mehrfache „Wichser“- und „Scheißbullen“-Beleidigung so einfach gefallen lassen? Ein Polizist hat einem 19-Jährigen während eines Polizeieinsatzes in Göttingen ins Gesicht geschlagen.
Jetzt droht ihm ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt. Der Vorgang ist in der Social Media-Szene ohne Ton auf der Video-Plattform YouTube veröffentlicht worden. Damit wurden die Betrachter im Unklaren gelassen was die einmal erfolgte kurze Ohrfeige mit der flachen Hand tatsächlich ausgelöst hatte.
Auf dem Video ist zu sehen, wie der Polizist einem jungen Mann während eines Einsatzes in einer Wohnung mit der flachen Hand gegen den Kopf schlägt. Was sich im Vorfeld der Entgleisung abgespielt hat, ergibt sich nicht im Detail. Die Ermittlungen dazu dauern an.
Von der Existenz des Bildmaterials erfuhr die Polizei am Freitagvormittag über Soziale Medien. Nach Bekanntwerden leitete die Inspektion unverzüglich erste Ermittlungen ein. Da die Einsätze vorschriftsmäßig dokumentiert waren, konnten auch die im Video zu sehenden Beamten unmittelbar zugeordnet werden. Darüber hinaus ist der in Rede stehende Schlag durch den ausführenden Beamten in den Einsatzunterlagen vermerkt.
Nach der hiesigen Aktenlage suchte der Polizeioberkommissar zusammen mit drei Kollegen am vergangenen Donnerstagmorgen (17.09.20) gegen 08.00 Uhr die Wohnung eines 19 Jahre alten Mannes im Göttinger Stadtteil Holtensen auf, nachdem es mehrere Beschwerden wegen einer massiven Ruhestörung gegeben hatte. Es war nach 05.15 und 05.45 Uhr der dritte Einsatz bei dem 19-Jährigen an jenem Morgen. Auch in den Tagen zuvor hatte die Polizei wiederholt wegen gleichlautender Beschwerden von Nachbarn die Anschrift des polizeilich bekannten Heranwachsenden anfahren müssen. Während des 08.00 Uhr-Einsatzes am Donnerstagmorgen hat sich der Göttinger gegenüber den Einsatzkräften zum wiederholten Mal aggressiv verhalten und sie über längeren Zeitraum massiv beleidigt. Immer wieder fielen von ihm Äußerungen wie "Wichser, verpisst euch ihr Spastis, scheiß Bullen". Um diese massiven Beleidigungen zu beenden, verpasste der Beamte dem 19-Jährigen schließlich eine Ohrfeige.
Nach einem weiteren Einsatz am Donnerstagabend gegen 22.00 Uhr, wiederum wegen extrem lauter Musik, Videospielen, lautem Schreien, Treten und Schlagen gegen Türen und Möbel im gesamten Treppenhaus, musste die Polizei den Ruhestörer in letzter Konsequenz in Gewahrsam nehmen.
Gegen den 19-Jährigen wurden Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung und Ruhestörung eingeleitet. Diese Verfahren bleiben zur weiteren Bearbeitung bei der Polizei Göttingen. Das Verfahren gegen den Polizeibeamten wird aus Gründen der Neutralität an die Polizei in Hildesheim abgegeben. Schlussendlich wird dann die Staatsanwaltschaft das Verhalten des Beamten strafrechtlich bewerten und gegebenenfalls zur Anklage bringen.
Thomas Rath, Leiter der Polizeiinspektion Göttingen, kritisiert das Verhalten des Beamten ausdrücklich: "Auch wenn Polizeibeamten immer wieder, wie im vorliegenden Sachverhalt, Hass und persönliche Beleidigungen, entgegengeschleudert werden, rechtfertigt dies für sich allein keinesfalls ein körperliches Angehen des polizeilichen Gegenübers. Hier erwarte ich von meinen Beamtinnen und Beamten eine besonders hohe Hemmschwelle, auch wenn es häufig schwerfällt, in solchen Situationen die Ruhe und Distanz zu bewahren. Dafür sind wir Profis."