Kommentar zur Eurokrise
Plädoyer für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten
Von Klaus-Peter Wennemann
In den letzten Tagen hat die Schuldenkrise die Schlagzeilen beherrscht. Damit zusammen hängt die heraufziehende Bankenkrise Teil II. Diese Ereignisse führen zu einer starken Verunsicherung der Bevölkerung und drohen ernsthaft auf die Realwirtschaft überzuspringen.
Erste Signale, wie der Ifo Geschäftsklimaindex zeigen dieses. Viele Ideen erblicken in diesen Tagen das Licht der Welt, noch mehr Forderungen und immer mehr auch heftige Proteste in Athen, in New York, aber auch in Zürich. Zu Recht fordern die Menschen, aber auch die Wirtschaft und der Kapitalmarkt Konzepte und verlässliche „Fahrpläne“ um nicht weiter in eine unheilvolle Mischung aus Depression, Angst und Wut abzugleiten. Dabei stehen immer mehr die Banken am Pranger, aber auch Politiker, die sich für die Marktwirtschaft einsetzen.
Kämpft die Politik gegen den Markt?
Es entsteht der Eindruck, dass die Politik gegen den Markt kämpft. Für den Bürger und selbst für Fachleute ist die komplexe Gemengelage nicht mehr zu überblicken, was allerlei Unsinn hervorbringt und es schwer macht zwischen populistischen Aussagen und ernsthaften Überlegungen zu unterscheiden.
(Zum Bild: Der Gastautor dieses Beitrages ist Diplom-Ökonom und war Portfoliomanager bei der Capital Management International of Deutsche Bank, Frankfurt/New-York/Tokio für institutionelle Kunden, sowie in verschiedenen leitenden Funktionen im BHW. Im zurückliegenden Kommunalwahlkampf war er Landratskandidat der FDP. Foto: Wennemann)
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Wenn man aber nicht versteht, wo man sich befindet, dann ist eine Aussage wohin die Reise gehen soll letztlich schwer zu treffen. Deshalb möchte ich einige Gedanken darauf verwenden wo wir derzeit sind und auch, wie wir hierher gekommen sind.
Billigere Haus-Kredite sollten das Auseinanderdriften von Arm und Reich beenden
In der Zeit des US-Präsidenten Carter entstand die Idee, das zunehmende Auseinanderdriften von Arm und Reich zu beenden, indem man auch ärmeren Bevölkerungsschichten Zugang zu billigen Hausfinanzierungen ermöglichte. Man wollte damit die „Ghettoisierung“ verhindern.
Die hierfür eingeleiteten Maßnahmen führten zu einer deutlich einfacheren und nachlässigen Bonitätsprüfung von potentiellen Kreditnehmern und teilweise auch zu einer Entkoppelung der Arbeitsprozesse in den Banken. Es gab Vertriebsschienen, die auf Provisionen aus waren, Kreditbanken, die wussten, dass die Kredite nicht bis zum Schluss auf der eigenen Bilanz blieben und Kapitalmarktabteilungen, die die Kredite optimal „bündelten“ und rund um den Globus, versehen mit einem ordentlichen Rating an Investoren platzierten.
Befeuert wurde diese Entwicklung von einer drastisch ausgeweiteten Geldmenge in den USA.
Mit immer neuen Geldspritzen wurde der Boom finanziert
Der sogenannte „Greenspan- Put“, benannt nach dem amerikanischen Notenbankchef, war quasi eine Versicherung für die Kapitalmarktteilnehmer. Mit immer neuen Geldspritzen wurde ein Boom finanziert, der letztlich zu einem kreditfinanzierten Wohlstand führte. Eine „Blase“ löste die andere ab, zunächst Immobilien, dann Aktien, zuletzt Rohstoffe. Die Banken waren Transmissionsriemen dieser Entwicklung. Die Ursache lag aber in der Politik. Damit ergibt sich eine erste Konsequenz, nämlich die Frage, wie wir ohne zu große Schocks wieder den Weg zu einem ökonomisch ausbalancierten Wachstum finden ohne zukünftige Generationen weiter zu belasten. Sicher ist dabei, dass wir eine längere Durststrecke mit all ihren Folgen für den Sozialstaat vor uns haben.
In Deutschland kommt erschwerend hinzu, dass wir mit permanenten, großen Exportüberschüssen besonders von diesem Boom profitiert haben und auf Sicht, gerade mit Blick auf die europäischen Nachbarn, einen Weg finden müssen zu ausgewogenen Verhältnissen zu kommen, denn sonst wird eine gesunde Eurozone nie funktionieren.
Der politische Druck wird durch die globale Entwicklung, besonders in Indien und China noch stärker werden, und an der Problematik des Zuwanderungsdrucks aus Afrika sieht man bereits wohin dieses führt.
Soll man das Europäische Haus wieder in Teilen abreißen?
In Europa hat sich durch Schlamperei, Betrug und mangelndes Verständnis für ökonomische Grundgesetze eine Eurozone etabliert, bei der sich grob gesprochen die Frage stellt, ob man das europäische Haus, zumindest was die Währungsunion angeht, abreißt und neu aufbaut und damit in die 70er Jahre zurückfällt oder jahrelang repariert und die ohnehin bereits bestehende Transferunion erheblich ausweitet. Die Konsequenzen einer totalen Transferunion dürften allerdings so groß sein, dass es mir schwer fällt, mir vorzustellen wie man hierfür demokratische Mehrheiten bekommt.
Die "Südschiene" muss beschleunigen
Deshalb plädiere ich für ein Europa zweier Geschwindigkeiten, wobei die „Südschiene“ auf Sicht beschleunigen muss, damit irgendwann wieder eine Vereinigung erfolgen kann und dann mit einem wirklich nachhaltigen, gesunden Euro.
Als Liberaler möchte ich auch noch drei sehr wichtige Statements abgeben:
Regeln sind für ein vernünftiges Zusammenleben, gerade auch an den Kapitalmärkten, zwingend erforderlich, aber beim Regelsetzen muss man Märkte verstehen. Die derzeitige Herangehensweise bei der Bilanzierung und beim Risikocontrolling führt zu kurzfristigem Denken und Handeln und die „Gleichschaltung“ zu sehr einheitlichen Geschäftsmodellen, bei denen jeder im selben Moment durch die gleiche, enge Tür muss. Hier ist Kreativität gefragt und nicht Bürokratie.
Finanzaktivitäten setzen sich in die Schattenwelt ab
Eine zu starke Regulierung führt zu einem immer stärkeren Absetzen von Finanzaktivitäten in die Schattenwelt (sogenannte Non- und Nearbanks und die geografische Verlagerung nach Singapur oder auf die Kanalinseln zum Beispiel). Das hilft nicht wirklich.
Wir wollen die Globalisierung und profitieren täglich von den Vorteilen, aber dann sollten wir darüber nachdenken wo wir im globalen Wettbewerb auf lange Sicht landen, wenn wir über Felder wie Bildung, Risikoinvestments, Sozialleistungen, Integration ausländischer Arbeitnehmer und vieles mehr entscheiden. Es ist für mich beispielsweise schwer miteinander zu vereinbaren über eine europäische Staatengemeinschaft zu diskutieren und gleichzeitig unser föderales Bildungssystem in der heutigen Form beizubehalten.
Für die vor uns liegenden Wochen sehe ich die Politik in der Verantwortung eine Panik an den Märkten, die natürlich denkbar ist, zu vermeiden. Transparenz und Ehrlichkeit sind dabei der richtige Kompass. Auch die Einsicht, dass Märkte im Tagesgeschäft schneller sind als Demokratie. Politik und Banken sind in der Verantwortung die Rolle, die Banken spielen, wieder klarer zu machen. Dabei muss sich unser deutsches Bankensystem mit seinen drei Säulen nicht verstecken. Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass eine der größten Industrienationen nur mit regionalen Instituten wettbewerbsfähig bleibt, auch wenn es derzeit mächtig in Mode ist „Konzerne“ zu verteufeln, nur weil man sich nicht bemühen will oder es intellektuell nicht schafft ihre Komplexität zu begreifen.
Der Schwache muss sich auch helfen lassen
Vor uns liegen nicht einige Wochen, sondern sicherlich ein ganzes Jahrzehnt um die über Jahre versäumten Arbeiten nachzuholen, wichtige Grundsatzfragen zu klären und damit ein wirklich nachhaltig stabiles europäisches Haus zu bauen.
Der liberale Grundsatz „Der Starke hilft den Schwachen“, muss gelebt werden, indem der Schwache sich auch helfen lässt, der Schwerpunkt auf der Entwicklung eigener Stärken bei den Schwachen liegt und Probleme ausgesprochen und nicht zugekleistert werden.
Die Rückgewinnung von Vertrauen ist bei all dem das Kernproblem. Vertrauen in verantwortungsbewusste Politiker, wie dieses der Papst im Bundestag sehr anschaulich beschrieb, Vertrauen in Banker, die nicht nur in Quartalsergebnissen denken und Vertrauen in die Führungseliten, dass diese in unseren Bildungsinstitutionen und im Elternhaus „Gesamtverantwortung“ mit auf den Lebens- und Berufsweg bekommen haben.