Der Kommentar
Die Note "Betragen" zählt nicht mehr - Rettungssanitäter sind immer mehr dem Ego-Trip im Alltag ausgesetzt
Von Ralph Lorenz
Die uneinsichtige Pkw-Fahrerin, die ein Rettungsfahrzeug aktiv behindert, die Besatzung dann auch noch beleidigt hat, wird mit Sicherheit einen Anwalt finden, der sie vor Gericht auch noch als angebliches Opfer der Situation darstellen dürfte. Alles eine Frage des Geldes.
Martinshorn und Blaulicht hätten sie in Panik versetzt, dürfte der Advokat zu ihren Gunsten argumentieren. Und das mit dem Bremsen sei von ihr ja eigentlich gutgemeint gewesen. Und die Scheibenwischer-Bewegung sei der Angstschweiß gewesen, den sie sich weggewischt habe. Ersatzweise auch eine Fliege. Und das war’s dann in Verbindung mit einem milden Richter.
Fortsetzung von Seite 1
Nein, Ego-Trips dieser Art sind leider keine Ausnahme mehr und sie gehören hart bestraft. Nach neuer Rechtslage muss die Frau mit 240 Euro Bußgeld rechnen. Und maximal einen Monat Fahrverbot. Zwingend erforderlich wäre in solchen Fällen: Eine MPU. Die medizinisch-psychologische Untersuchung. Mit der Klärung der Frage, ob die entsprechende Person nach solch einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr überhaupt mit ihrer Charaktereigenschaft grundsätzlich geeignet ist am öffentlichen Verkehrsgeschehen teilzunehmen.
Doch was ist das schon? Wir wissen nicht, was für Folgen aufgrund der mutwilligen Störaktion der Einsatzfahrt entstanden sind. Bei Einsatzfahrten wie diesen sind in der Regel Menschenleben in Gefahr! Hätte die Frau auch so gehandelt wenn ihr eigenes Kind oder ein naher Verwandter im Rettungswagen gelegen hätten? Dummheit, Stumpfheit, Ego-Perspektive sind heute die Gegner der Rettungskräfte im Einsatzalltag.
Nicht nur Rettungssanitäter sind dem Psychoterror ausgesetzt, auch Feuerwehrleute im Einsatz
Menschen, die in ihrer Ichlings-Welt abgekapselt sind. Auch Feuerwehrkräfte müssen immer wieder in ihrem Freiwilligen-Einsatz die Respektlosigkeit und Häme ihrer Zeitgenossen ertragen. In Stuttgart gab es unlängst den Vorfall, bei dem ein Mann sich einfach in den Notarztwagen gesetzt und ihn weggefahren hat, weil er sich beeinträchtigt fühlte. Und das wahrscheinlich unter dem beifälligen Grinsen von Zeugen.
Wir erleben hier die Verrohung im Alltag. Was ist hier schiefgelaufen in der Erziehung einer ganzen Generation? Denn Verhaltensweisen wie diese sind keine Einzelfälle, treten heute verstärkt auf. Solche Verwahrlosung wird sich auch auf anderen Gebieten äußern.
Was ist im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule schiefgelaufen?
Noch nie ist es uns so gut gegangen. Noch nie hat der Ego-Trip sich gleichzeitig so hässlich gezeigt wie heute. Das Problem beginnt im Elternhaus, setzt sich in Kindertagesstätte, Kindergarten und Schule fort. Es ist ein Erziehungsproblem in einer Zeit, in der die Erziehung der Kinder dem TV-Apparat oder den Computerspielen überlassen wird. Eine Welt, in der sich die überwiegend Jugendlichen mit den Kopfhörern auf den Ohrmuscheln sichtbar nach außen abschotten und nur noch das hören, was sie hören wollen. Eine Welt, in der das Handy am Ohr der Dauerzustand geworden ist. Menschen sich auf dem Gehweg mit dem Smartphone am Ohr in den Weg stellen wie ein Fels in der Brandung. Selbstvergessen, Ego-zentriert. Und mit ihrem nicht gedämpftem Sprechen die Umgebung terrorisieren.
Aber wer hat ihnen in dieser Schrei-Welt auch schon beigebracht mal den Ton zu senken und rücksichtsvoll der Umgebung anzupassen?
Die überdrehte Smartphone-Werbung und Schnäppchen-Konsumwelt zeigt auf Plakaten und in Anzeigen immer wieder die selben Model-Typen mit blondierten Haaren, die wegen irgend eines vermeintlichen Preisvorteils hysterisch kreischen müssen und möglichst noch dabei die Zunge rausstrecken. Was immer das in seiner Obszönität bedeuten soll.
Hier müssen sich auch die Mediengestalter, die sich auch noch hochtrabend als "Designer" aufpolieren, in ihrer Einfallslosigkeit und Einfältigkeit des Diktats dieser öden Werbetypen an die Nase fassen.
Und an der Ampel wummern die Bässe aus dem runtergedrehten Autofenster. Dahinter immer dieselben unreifen Gesichter, die schon im Sandkasten mit dem Schäufelchen in der Hand so pfannkuchenartig geguckt haben und Mammas Märchenprinz waren.
Ohne Betragen kein Betragen mehr
Es gab im „altmodischen“ Unterricht früherer Generationen die Schulnote „Betragen“. Sie wurde dann durch die sogenannte „Kopfnote“ ersetzt. Und dann in einigen Bundesländern abgeschafft.
Weil sie das Ausmaß des Versagens der Erziehungs deutlich werden ließ?
In Dresden hatte ein Schüler geklagt, dass sie in seinem Zeugnis erscheint – er könne sich damit nicht bei seinem Arbeitgeber bewerben. Hätte er sich vorher überlegen können.
Der Junge bekam vom Gericht sogar noch Recht, weil der Lehrer angeblich zu großen Ermessensspielraum bei der Betragen-Note habe. Absurd: Nicht der Schüler hat sich demzufolge daneben-betragen. Sondern der Lehrer.
Genau hier liegt der Hund begraben. "Betragen" zählt nicht mehr.
Dabei ist es die unverzichtbare Grundlage für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Respekt ist der Kitt in unserem Zusammenleben. Und der bröckelt jetzt gewaltig an allen Fronten.