Erste Direktwahlen ohne Stichwahl - werden CDU und FDP das noch bereuen müssen?
Demokratisches Defizit in Niedersachsen: Mehr Demokratie schlägt Modell der integrierten Stichwahl vor
Von Dirk Schumacher
Bremen/Hannover/Hameln (wbn). In Niedersachsen finden am morgigen Sonntag 114 Direktwahlen von Oberbürgermeistern, Bürgermeistern und Landräten statt. Bei diesen Direktwahlen werden die Hauptverwaltungsbeamten erstmals in nur einem Wahlgang (ohne Stichwahl) gewählt. Gewählt werden 15 Landräte, 5 Oberbürgermeister sowie 65 Bürgermeister und 29 Samtgemeindebürgermeister.
Bei den 20 Direktwahlen für Oberbürgermeister und Landräte gibt es 13 Fälle, in denen ein Kandidat auch mit zum Teil deutlich weniger als 50 Prozent der Wählerstimmen gewählt werden kann. Dort gibt es jeweils mehr als zwei Kandidaten. Der Verein Mehr Demokratie hält es für wahrscheinlich, dass nun Bürgermeister und Landräte mit nur 30 Prozent der Wählerstimmen für 8 Jahre ins Amt gewählt werden. Dies drohe auch in den kleineren Städten und Gemeinden. Der Verein fordert angesichts dieses demokratischen Defizits die Überarbeitung des Wahlrechts und schlägt die Einführung der „Integrierten Stichwahl“ vor. Die Stichwahl, also der zweite Wahlgang, war im vergangenen Jahr auf Betreiben von CDU und FDP abgeschafft worden. Wie der Verein weiter erklärt, wurden in Thüringen und Nordrhein-Westfalen schlechte Erfahrungen mit Direktwahlen ohne zweiten Wahlgang gesammelt.Fortsetzung von Seite 1
So wurde in Wülfrath 2009 eine Bürgermeisterin mit 27 Prozent der abgegebenen Stimmen gewählt. Dort hatten sich 5 Kandidaten zur Wahl gestellt. Das droht nun auch in Wolfsburg, Goslar oder im Landkreis Osnabrück. Besonders problematisch dürfte die Direktwahl in Wilhelmshaven werden, wo sich neun Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl stellen. Tim Weber, Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie Bremen/Niedersachsen wiederholt seine Kritik an der Abschaffung der Stichwahl: „Es wird eine Reihe von Minderheiten-Bürgermeistern geben, die keine Mehrheit der Bürger hinter sich wissen. Das ist kein guter Start ins Amt“. Weber äußert sein Unverständnis darüber, dass die Regierungskoalition sich der Auseinandersetzung mit Alternativen zur Abschaffung der Stichwahl verweigert hat. Er sieht in der integrierten Stichwahl eine praktikable Alternative, die das derzeit herrschende demokratische Defizit behebt.
Die „integrierte Stichwahl“ gibt den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit, ihre Präferenzen für einzelne Kandidaten auszudrücken, indem sie Ihre Favoriten durchnummerieren. Erhält kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen, werden die Stimmzettel der Kandidaten mit den wenigsten Stimmen entsprechend der Zweitpräferenz neu verteilt. Dies wird solange durchgeführt bis ein Kandidat fünfzig Prozent der Stimmen erreicht hat. Ein aufwändiger zweiter Wahlgang entfällt und es wird sichergestellt, dass 50 Prozent der Wähler hinter dem gewählten Bürgermeister stehen. Dieses Verfahren wird unter anderem in Australien angewendet.
Im vergangenen Jahr hatte sich ein Bündnis mehrerer Organisationen gegen die Pläne der niedersächsischen Regierungsmehrheit gestellt und Unterschriften dagegen gesammelt.
Hinweis der Redaktion: Der Gastautor Dirk Schumacher ist vom Landesverband Bremen/Niedersachsen des Vereins Mehr Demokratie e.V.