Der Kommentar
Mystica Hamelon - der Straßenkarneval nach Aschermittwoch
Von Ralph L o r e n z
Uns ist in alten mæren wunders vil geseit… In der Hamelner Innenstadt hat gestern wieder das sogenannte Mystica Hamelon begonnen. Ein Mittelalter-Spektakel, das eher einem Straßenkarneval mit bizarrer Verkleidung gleicht.
Arrangiert für diejenigen in Norddeutschland, die angeblich mit Karneval nichts am Hut haben. Gekünstelt sprechen die Akteure von hinten nach vorne, weil sie glauben, dass so im Mittelalter gesprochen worden sei. Walther von der Vogelweide wäre aber bei solcher Sprachverunglimpfung für immer verstummt. Warum auf das übliche Wortgeklingel des Englischen und Denglischen auch diesmal nicht verzichtet werden kann, bleibt das schwülstige Geheimnis der Hamelner Marketingleute. Einen "Mystic Nightwalk" hat es im Mittelalter nicht gegeben. Auch keinen "Walkact". Wenn die Leut' im Mittelalter mit fremder Zunge angeben wollten - dann auf Französisch. Oder mit Lateinisch. Überhaupt ist der geschichtliche Lerneffekt gleich Null. Es gibt nichts, was den Blick auf die dunkle Zeit erhellen könnte. Und die Akteure in Hameln tragen „Klamotten“, die eher einem Komödienfundus entsprungen sind. Aber es ist in erster Linie ein von Albernheiten geprägter Familienspaß auf Disneyland-Niveau, bei dem Jungs mit Holzbeilen und Kunststoffschwertern herumfuchteln, kleine Mädchen als pausbäckige Prinzessin mit Tüll drapiert lustwandeln, es nach Sauerkraut, Kassler und Käsespätzle riecht, im offenen Feuer Holzscheite glimmen und feinstaublastig viel Rauch erzeugt wird, weil das auch irgendwie mit dem Mittelalter in Verbindung gebracht wird.
Und so ist denn Mystica Hamelon in diesem Sinne mega-geil. Es dauert bis einschließlich Sonntag, der verkaufsoffen ist – und das Prädikat verkaufsoffen ist der eigentliche Magnet, der auch die Besucher und Besucherinnen aus dem benachbarten Ostwestfalen-Lippe zu Karawanen nach Hameln veranlassen wird. Und wieder mischen sich die Taschendiebe, Verschwörungsrauner und Antänzer unters Volk.
Die langgeschwänzten Ratten aber, die tierischen Straßenfeger des Mittelalters, die halten sich dem Schauspiel fern.
Der Rattenfänger hat ganze Arbeit geleistet.