DER KOMMENTAR
Nicht schlecht, Herr Sarrazin: Meinungsfreiheit gegen Banker-Job. Jetzt darf er richtig vom Leder ziehen - und Weber sitzt allein auf seiner Bank
Von Ralph L o r e n z
Das war’s also. „Mit Blick auf die öffentliche Diskussion werden die Beteiligten ihre Zusammenarbeit zum Monatsende einvernehmlich beenden“, hat die Bundesbank heute Abend mitgeteilt. Der Seufzer der Erleichterung aus dem Bundespräsidialamt in Berlin ist bis ins Weserbergland zu hören.
Zum Schluss ging es allen Beteiligten nur noch darum das Gesicht zu wahren. Sarrazin hat einen guten Tausch gemacht. Meinungsfreiheit gegen Banker-Job, den er eigentlich ohnehin nur pro forma hatte. Wie man’s auch dreht, verloren haben die anderen. Alle Beteiligten der hinter verschlossenen Türen vereinbarten gütlichen Einigung haben Stillschweigen vereinbart, was es in Wirklichkeit noch nie gegeben hat. In Wirklichkeit ist Sarrazin der Sieger des Tages, weil ihm bestätigt werden musste, dass die Kritik an ihm auf Seiten der Bundesbank zurückgezogen worden ist. Nebst Entlassung. Im Gegenzug hat er selbst die Klinke in die Hand genommen. Der Bankenvorstand halte die „wertenden Ausführungen“ aus seiner Presseerklärung vom 30. August nicht aufrecht, hieß es lapidar. Es ist aber nicht bekannt, dass Sarrazin die wertenden Ausführungen in seinem Buch zurückgezogen hat. Im Gegenteil, jetzt hat er sich aller Fesseln vom Amt eines Vorstandsmitgliedes der Bundesbank entledigen können und kann auf die Tournee seiner Vorlesungen gehen. Dort wird er mehr Zustimmung als Kritik für seine Thesen der sich selbst abschaffenden Bundesrepublik der Deutschen ernten.
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Das Volk hat heute Abend in der Bundesbank zu Sarrazins Gunsten unausgesprochen mitverhandelt
Die Politprofis in Berlin haben in dieser unseligen Diskussion keine gute Figur gemacht. Die Sache hatte für sie einen Lästigkeitswert bekommen, wie Juristen zu sagen pflegen. Arbeitsrechtlich war das Vorgehen der Sarrazin-Kontrahenten in Bundesbank und Politik ohnehin höchst angreifbar. Zum Schluss war der zu erwartende Schaden für alle politischen Lager größer als die Aussicht gegen Sarrazin Kante zu zeigen. Nicht Wulff, der frisch ins Bundespräsidialamt eingezogene CDU-Landes-Politiker aus Hannover, noch der selbst auf den Absprung nach Europa hoffende Chef-Bundesbanker Weber und auch nicht Kanzlerin Merkel, deren plumpe Einflussnahme auf die Institution Bundesbank einen faden Geschmack hinterlassen hat, haben in diesem Fall ein Machtwort gesprochen.
Nein, es war „das Volk“, das einen Einigungsdruck erzeugt hat. Und zwar in seiner bislang unhörbaren Variante der schweigenden Mehrheit. In einer selten zuvor erlebten Panik ruderten die Meinungsführer in den Parteien und der veröffentlichten Meinung der Medien als Vertreter der Political Correctness zurück, nachdem sie der völlig verkannten – oder verdrängten? – Stimmungslage an der Basis gewahr wurden. Der eindrucksvollste Warnschuss kam gestern von der Bild-Zeitung, die eine Abstimmungslawine auf einem vorgefertigten Meinungszettel mit mehreren Gesinnungsvarianten auf den Weg brachte.
Ein Buch hat die Märchenerzähler demaskiert und die Diskussion neu einge-nordet
In den Tagen zuvor hatte aber auch schon das e-mail-Bombardement in den Parteizentralen auf allen Ebenen erkennen lassen, wie die Deutschen wirklich denken. Sarrazin hat nicht nur die Frage gestellt, ob sich Deutschland auf Dauer abschafft, sondern in bisher nicht gekannter Schärfe die Frage nach der bevormundeten Gesellschaft aufgeworfen. Quasi als Nebenprodukt. Aus Sicht der Berufspolitiker ist das ein noch nicht absehbarer Kollateralschaden, weil damit reihenweise Masken vom Gesicht gerissen wurden.
Es wurden die Märchenerzähler demaskiert, die ausdrücklich die Unabhängigkeit der Bundesbank loben aber das Gegenteil verlangen. Es wurden die Worthülsendreher entlarvt, mit ihren nervenden Zurechtweisungen was angeblich einer Migrantensache dienlich sei und was nicht. All die wirklichkeitsfremden Willkommensredner, die eine Grundregel der Gemeinschaft aus dem Auge verloren haben: Wer Hilfe für sich und die seinen empfängt, muss auch zurückgeben wollen.
Warum kommen sie zu uns, wenn sie mit uns nichts zu tun haben wollen?
Es kann nicht angehen, dass Migranten zu uns kommen, mit uns aber nichts zu tun haben wollen. Wir können auch selbst im tiefergelegten 3er-BMW um unsere Eisdielen im Kreis herumfahren und sinnfrei mit dem Handy telefonieren. Und: Wer in ein volles Zugabteil kommt, muss auch erst mal stehen können. Bei uns sollen ja sowieso nach und nach Plätze frei werden, wie Sarrazin errechnet hat…
Unsere Volkswirtschaft ist weltoffen wie kaum eine andere. Das ist gut so. Wir brauchen Migranten, sie sollen respektierter und integrierter Bestandteil unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgsmodelles werden. Gegenseitiges Lernen inbegriffen. Aber wir wollen, verdammt noch mal, sie uns auch aussuchen können – fernab jeglicher pervertierter Verpflichtung der Asylaufnahme, die wir längst übererfüllt haben und die nicht nur bei uns missbraucht worden ist.
Demaskiert wurde auch unsere niedersächsische Sozialministerin türkischer Abstammung. Sie hat abgesagt, nachdem sie erfuhr, dass eine türkische Soziologin, die Sarrazins Grundaussagen stützt, in ihre Diskussionsrunde aufgenommen werden sollte. Schwache Nerven, noch nicht ausgereifte Diskussionskultur, wenig Argumente Frau Aygül Özkan?
Kann es sein, dass Sarrazin von seinen Kritikern auch maßlos überschätzt worden ist?
Sarrazin ist heute auf die erste Stufe seines Märtyrerpodestes getreten, der ihn noch mehr erhöhen könnte. Möglicherweise wird hierbei eine Träne zuviel vergossen, weil nicht anzunehmen ist, dass diese gütliche Einigung mit der Bundesbank zu seinem finanziellen Nachteil geriet. Er wird auch mit seinem Bestseller, der jetzt im Spiegel an erster Stelle rangiert, ordentlich Kasse machen. Leser, die ihm grundsätzlich zustimmen, werden möglicherweise enttäuscht sein. Viel Statistik, magere Polemik. Sarrazin sagt es geradeheraus, manchmal plump bis an die Schmerzgrenze.
Vielleicht werden wir schon Ende des Jahres den Hype um ihn nicht mehr verstehen, weil Sarrazin objektiv gesehen überschätzt worden ist. Und das vor allem von seinen Kritikern. Sollte sich bis dahin aber spürbar etwas geändert haben, eine furios entfachte Diskussion zu einer neuen Sachlichkeit mit realistischen Lösungsansätzen geführt haben, wäre er ein Held. Ein Volks-Held und begnadeter Polemiker. Übrigens der erste Bundesbanker, der das abseits aller Euro-Bilanzen geschafft hätte. Mit einer, wohlgemerkt politischen Bilanz.
Sarrazin hat das getan, was von einem Bundesbanker erwartet werden darf - er hat gefragt, wer morgen die Rechnung zahlt!
Doch wer sagt eigentlich, dass die in dem Sarrazin-Buch angestellten Überlegungen nicht zu seinem Aufgabenfeld als Bundes-Banker gehört haben? (Eine immer wiederkehrende Kritik an ihm.) Als Banker muss er sich doch fragen dürfen, wer die Rechnung im Jahre 2080 bezahlt? Soll die moslemische Bevölkerungsmehrheit dann die Schrumpfgermanen im Springer Wisentgehege, gleich neben dem Wolfsrudel, kostenlos besichtigen können? Werden sie zum Weltkulturerbe? Gibt es ein Fütterungsverbot?