Es geschah zwischen 1949 und 1975
Land Niedersachsen und Kirche bekennen sich zu "Leid und Unrecht" an Kindern in der Behindertenhilfe
Mittwoch 7. September 2022 – Hannover (wbn). Späte Reue in einem dunklen Kapitel: Es geht um die Folgen körperlicher und psychischer Gewalt, um sexualisierter Gewalt in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie in Niedersachsen.
Auf Einladung von Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens hat gestern im Alten Rathaus in Hannover eine Veranstaltung mit und für Menschen stattgefunden, die als Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie zwischen 1949 und 1975 „Leid und Unrecht“ erfahren haben.
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Betroffene Menschen hatten dort Raum, über ihre Erlebnisse in den Einrichtungen sowie ihre Erfahrungen mit der Stiftung Anerkennung und Hilfe zu berichten.
Vertreterinnen und Vertreter aus Landespolitik und Kirchen erkannten das erlittene Leid und Unrecht öffentlich an und bekannten sich zu ihrer Verantwortung. „So etwas darf nie wieder möglich sein", darin waren sich Sozialministerin Daniela Behrens, Landesbischof Ralf Meister und Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ in Anbetracht der Schilderungen von Betroffenen zu Gewalt und Missbrauch einig.
„Im Namen der Landesregierung Niedersachsen erkenne ich nicht nur das erlittene Leid und Unrecht an, ich möchte alle Betroffenen um Verzeihung bitten", erklärte Ministerin Behrens gegenüber den geladenen Gästen. Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ ergänzte für die Katholische Kirche: „Als Kirche übernehmen wir Verantwortung für das Unrecht, das Menschen in kirchlichen Einrichtungen der Behindertenhilfe oder in stationären psychiatrischen Einrichtungen der Kirche angetan worden ist. Wir müssen alles dafür tun, dass sich dies nicht wiederholt. Dabei helfen uns die wissenschaftlichen Erkenntnisse und insbesondere die Schilderungen der betroffenen Menschen. Oft gibt es keine Worte für das Leid, das Betroffene erfahren haben."
Für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers sagte Landesbischof Ralf Meister: „Wir sind beschämt über das Leid der Betroffenen, das auch in unseren Einrichtungen und in unserer Verantwortung geschehen ist. Ich bitte die Betroffenen um Entschuldigung und Verzeihung. Wir sehen es als unsere Pflicht an, hinzusehen, hinzuhören, aufzudecken, Verantwortung zu übernehmen und offenzulegen. Im Wahrnehmen und Anerkennen liegt die Voraussetzung zur Bewältigung." Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen die Menschen, denen als Kinder und Jugendliche großer Schmerz zugefügt wurde und die lange Zeit keine öffentliche Anerkennung und Aufmerksamkeit für ihr Leid erfahren haben.
In einer moderierten Gesprächsrunde erzählten vier betroffene Menschen über ihre persönlichen Erlebnisse und Schicksale. Marita Kirchhof war als achtjähriges Kind im ehemaligen Niedersächsischen Landeskrankenhaus in Wunstorf und berichtete über ihre schlimmen Erlebnisse. Sie wünscht sich für die Zukunft, dass „den Betroffenen von Leid und Unrecht besser bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse geholfen wird, auch die Krankenkassen mehr Verantwortung übernehmen und die Gesellschaft ihre Pflicht zum Schutz insbesondere von Kindern, behinderten und alten Menschen annimmt."
Hintergrund: In stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe beziehungsweise Psychiatrie kam es in der Vergangenheit zu Leid und Unrecht. Viele Menschen, die als Kinder oder Jugendliche dort lebten, leiden noch heute an den Folgen körperlicher und psychischer Gewalt, zum Beispiel ungerechtfertigter Zwangsmaßnahmen, Strafen, Demütigungen, an den Folgen sexualisierter Gewalt oder auch unter finanziellen Einbußen, weil sie in den Einrichtungen gearbeitet haben, ohne dass dafür in die Rentenkasse eingezahlt wurde. Um diese Menschen zu unterstützen, haben der Bund, die Länder und die Kirchen die Stiftung „Anerkennung und Hilfe" zum 1. Januar 2017 ins Leben gerufen. Betroffene Menschen konnten sich bis zum 30. Juni 2021 für den Erhalt von Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen bei der Stiftung anmelden. In Niedersachsen ist die Stiftung über die vier Anlauf- und Beratungsstellen beim Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie zu erreichen. Bisher sind in diesen mehr als 2.100 Beratungsgespräche bei mehr als 2.300 Anmeldungen geführt worden. Die Laufzeit der Stiftung endet mit Ablauf des Jahres 2022.
Transparenzhinweis der Redaktion: Dieser Beitrag basiert auf einer Mitteilung des Niedersächsischen Sozialministeriums.